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Der Haptik-Effekt-Blog
von Touchmore

Produkthaptik und Emotionen

Die emotionale Seite der Oberflächen

Produkthaptik und Emotionen ©stapag

Welche Emotionen werden bei Ihnen geweckt, wenn Sie mit den Fingerspitzen z.B. über die Schreibtischplatte oder das Sofakissen streichen? Noch nie drüber nachgedacht? Schwierig zu formulieren? Das wäre jedenfalls der Normalfall.

Denn haptische Codes entstehen schon, bevor mit ca. drei Jahren das reflektierende Bewusstsein erwacht. Erste zarte Regungen werden bereits bei Föten ab der siebten Woche beobachtet. Für Neugeborene gehören warme, weiche, zarte Berührungen zu den Hauptnahrungsmitteln – schnell lernen sie, welche taktilen Erlebnisse angenehme oder unangenehme Gefühle vermitteln.

Produkthaptik und Emotionen

Das Berühren von Dingen und Produkten löst stets Emotionen aus. Jeder Kontakt mit der materiellen Welt – ob aktiver Griff, passive Berührung oder Bewegung im Raum – löst Signale im komplexen haptischen Kortex aus. Der Grundstock seiner Prägungsmuster ist bereits im Alter von sieben Jahren gelegt.

Ein weiterer Schlüssel für die weitgehende Sprachlosigkeit in Sachen Berührungsempfindungen liegt in der schier unzähligen Menge spezialisierter haptischer Sensoren, die unter der Haut agieren bis hinein in die Organe, Muskeln, Gelenke – ihre Anzahl geht in die Billionen.

Wie der renommierte Haptikforscher Dr. Martin Grunwald unterstreicht: „Viele Marketingverantwortliche denken, mit ihren Fragebogen-Methoden an die benötigte Kritik herankommen zu können. Aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit! Denn haptische Wahrnehmungsmuster sind zu ganz großen Teilen – denken Sie an die Menge der Rezeptoren! – sprachlich nicht zugängliche Prozesse. Wenn wir uns als Wissenschaftler an solche Prozesse heranwagen, müssen wir also stellvertretend Signale oder Ereignisse im Körper nutzen. Und eine Sprache, die man hier anwenden kann, ist die Sprache der Tastbewegung an sich.“

 

Materialeigenschaften und die von ihnen aktivierten Emotionen

Die Erforschung haptischer Berührungscodes hinkte lange hinterher und blüht erst seit einigen Jahren auf – jetzt auch bei den Chemikern. Auf der diesjährigen Coating Science International (Cosi) bildeten Materialeigenschaften und die von ihnen aktivierten Emotionen einen der thematischen Schwerpunkte.

Keynote-Speaker Mark Ruthland, Experte für physikalische Chemie am KTH Royal Institute for Technology in Stockholm, unterstrich die Herausforderung, mechanische und chemische Charakteristika von Oberflächen auf die haptischen Empfindungen ihrer Nutzer abzustimmen. Um auf diesem Gebiet weiterzukommen, forsche man jetzt in Teamwork mit Psychologen.

Screening-Verfahren für haptische Profile

Auch bei DSM, einem niederländischen Chemiekonzern, steht aktuell das tiefere Verständnis für die haptischen Eigenschaften der genutzten Materialien im Fokus. Wie Matthew Gebhard, Science Manager bei DSM, auf dem Kongress berichtete, hat man sich von Geschmackstests aus der Lebensmittelindustrie inspirieren lassen, um ein Screening-Verfahren für haptische Profile zu entwickeln.

Eine Testgruppe mit 14 auf ihren Einsatzzweck geschulten Probanden habe bereits 200 Oberflächen mit Blick auf neun verschiedene Eigenschaften, z.B. rau oder weich, auf einer Skala von 1 bis 9 bewertet. Eine Schlüsselfrage fürs Gehirn: „angenehm oder unangenehm?“ wurde dabei weitgehend ausgeblendet, denn bei diesem Aspekt würden sowohl die kulturellen als auch individuellen Unterschiede überwiegen.

Fühl-Tests in der Forschung

Wie erste wissenschaftliche Arbeiten zum Themenfeld nahe legen, existieren auch haptische Eigenschaften, auf die Testkandidaten überwiegend ähnlich reagieren.

So untermauerte Susanna Meyer ihre Dissertation „Produkthaptik“ mit Fühl-Tests via Blackbox. Ihre Inhalte: verschiedene Alltagsbehältnisse wie z.B. Parfümflasche, Seifenspender, Vase usw. mit diversen Oberflächeneigenschaften: rau – glatt, schwer – leicht, kantig – abgerundet, warm – kalt, die es nach Emotionsqualitäten zu beurteilen galt.

Kernergebnisse: „Robust“ wurde mehrheitlich schweren, harten Gegenständen mit Kanten und rauer Oberfläche zugeordnet. Als „behaglich“ empfanden die Befragten weiche, glatte Oberflächen und ein warmes Berührungsgefühl. Bei rauen und warmen Materialien dominierte die Emotionsqualität „natürlich“.

Entgegen verbreiteter Klischees wurde „sinnlich“ in erster Linie mit harter Konsistenz in Verbindung gebracht; als „erotisch“ charakterisierten die Testteilnehmer vor allem kalte Materialien. 

Entscheidende Tasterfahrungen

Interessante Ergebnisse, die auch mit Alltagserfahrungen korrespondieren. Prägnante Beispiele sind haptische Assoziationen, die im übertragenen Sinne genutzt werden: weiches Herz, spitze Zunge, schwerwiegende Argumente, unterkühlte Atmosphäre, glatte Lügen ...

Dennoch ist dieser Bereich wesentlich komplexer, als die Reduktion auf nicht weiter differenzierte Grundeigenschaften spiegeln kann. Zum einen eröffnet sich hinter jeder haptischen Charakteristik ein ganzes Spektrum mit Abstufungen: z.B. liegen zwischen butterweich und nachgiebig auf Daumendruck bereits ganze Gefühlswelten.

Zum anderen – so betont Grunwald – orientieren sich Berührungsempfindungen an individuellen und kulturellen Tasterfahrungen und Tastumwelten: „Die heute Geborenen werden in 40 Jahren sowohl bezüglich ihres Wertekontextes als auch hinsichtlich ihrer Tasterfahrungen anders geprägt sein als die aktuelle Generation der 40-Jährigen.“

Haptisches Produktdesign

Mit Blick auf haptisches Produktdesign müsse immer auch berücksichtigt werden, in welcher Umgebung, in welchem Zusammenhang die Nutzobjekte zum Einsatz kommen. Die von der Produkthaptik ausgelösten Emotionen sind immer auch kontextgezogen zu bewerten. „Für bestimmte Umwelten gibt es bestimmte Dinge. Insofern sind unsere haptischen Präferenzen immer auch an Kontexte, an Produktumgebungen gebunden.“

Beispiel: eine Mohairdecke. Spontane Assoziationen: kuschelig, behaglich, geborgen. Wie Grundwald kommentiert: „Diese Assoziationskette mag im wohligen Heim ausgelöst werden. Aber wenn Sie aus demselben Material z.B. Bezüge für Autokissen herstellen, werden Sie Probleme bekommen. Das Material passt nicht zur Umgebung. Als Zigarettenraucher oder Pfeifenraucher, wie ich, denken Sie auch sofort an versprühte Funken, die das Kissen entzünden könnten und Tabakdreck, der sich festsetzt. Außerdem würde ich auf solchen Bezügen schwitzen, was müde macht, aber beim Autofahren will ich wach sein.“

 

Im strategischen Einsatz zu Werbezwecken

Die vielfältigen impliziten Reaktionen, die haptische Eigenschaften von Oberflächen und Materialien auslösen, prädestinieren sie auch für den strategischen Einsatz zu Werbezwecken – z.B. um so spontan wie nachhaltig Emotionen zu wecken, Benefits (be)greifbar zu machen und Glaubwürdigkeit in die Hände des Empfängers zu spielen.

Bis dato schlummert hier noch viel spannendes Potential für erfolgreiches Produktdesign und auch für den gesamten Marketingbereich – von der Verpackung über all die Werbemedien aus Papier bis hin zu haptischen Botschaftern.

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