Zum Hauptinhalt springen

Dem Homo oeconomicus Emotionen einhauchen

Ein Reset der Ökonomie?

Dem Homo oeconomicus Emotionen einhauchen

Eigentlich wissen wir es schon lange: der Homo oeconomicus ist tot. Jeder, der sich beispielsweise mit Gehirnforschung, Werbungspsychologie, dem Neuromarketing oder dem Multisensorischen Marketing beschäftigt oder sich vielleicht auch nur dafür beiläufig interessiert, hat das verinnerlicht: Emotion schlägt Reflexion.

Wir Menschen sind emotionale Wesen, die eben nicht nach Schema F funktionieren, sondern individuelle Entscheidungen treffen. Wir sind weder stabil in unseren Präferenzen noch frei von Widersprüchen.

In meinen Blogs, Publikationen und Vorträgen weise ich auf diesen Sachverhalt seit langem hin. Und doch erweist sich dieses Konstrukt des vornehmlich rational handelnden Menschen, als das wir es mittlerweile bezeichnen müssen, als zäh, als „unkaputtbar“. Nach wie vor appelliert auch die Werbekommunikation an den Homo oeconomicus und wirft Zahlen, Fakten und Argumente ins Feld.

Wissenschaftlich schon längst nicht mehr haltbar, hat das Festhalten am bestrebt rational agierenden Abbild unserer selbst eher etwas von einem Glaubensbekenntnis. Manch einer mag sich auch an Sektierertum gemahnt fühlen.

Dem Homo oeconomicus Emotionen einhauchen

Doch möchte ich hier und heute nicht auf die ökonomische Relevanz dieses irrigen Denkmusters eingehen, sondern auf dessen viel gravierendere Folgen für das globale politische Handeln. Schließlich gilt festzuhalten, dass die Menschenbild-Debatte der Ökonomie-Schulen in ihrer Verlängerung und verallgemeinernden Übernahme durch die Politik auch das politische Denken und Handeln bestimmt.

Die Krise des Spätkapitalismus hat ihre Wurzeln mit Sicherheit auch in der vorbehaltlosen Annexion der simplifizierenden mathematischen Modelle der Ökonomen inklusive ihres auf die Ratio reduzierten Menschenbildes durch Gesellschaft und Politik.

„Da es die Zunft der Ökonomie und nicht die der Psychologie oder Sozialen Neurowissenschaften ist, die unsere Regierungen berät, konnte sich das Bild des Homo oeconomicus in der Politik als common sense durchsetzen und das politische Handeln prägen.“

Konstatiert Tania Singer, Psychologin und Professorin für Soziale Neurowissenschaften. Die Forscherin leitet das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und war die erste Lehrstuhlinhaberin für Neuroökonomie in Zürich. Mithin ausreichend legitimiert und vielleicht sogar prädestiniert, einen begründeten Reset des Homo oeconomicus zu starten.

Die Schriftstellerin und Autorin Annika Reich identifiziert die Wissenschaftlerin in einem Artikel der „Zeit“als „eine der wichtigsten säkularen Ethikerinnen unserer Zeit“. Als solche ist sie bestrebt, das Reduktionskorsett des Homo oeconomicus aufzubrechen und dem Menschenbild die wegdefinierte Fähigkeit des Mitgefühls, der partizipierenden Emotion zurückzugeben.

Ein Reset der Ökonomie?

Ein breiteres Gelingen dieser Rückbesinnung vorausgesetzt, hätte dies unmittelbare Folgen für den persönlichen Alltag, die Gesellschaft sowie Wirtschaft und Politik. Und so arbeitet Tania Singer gemeinsam mit dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, an einer neuen Generation von Wirtschaftsmodellen. Ihnen gemeinsam ist das Ziel, prosoziale und nachhaltige ökonomische Verhaltensweisen zu ermöglichen.

Bereits zuvor hatte Singer nach siebenjähriger Vorbereitungszeit zu Forschungszwecken das ReSource Projekt initiiert. Ziel des Forschungsprojektes ist die Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für mentale Trainingsmethoden, die unsere mentalen und emotionalen Fähigkeiten schulen.

Dazu zählen u.a. Aufmerksamkeit, Körpergefühl (unser Tastsinnensystem!), multisensorische Selbstwahrnehmung, Emotionsregulierung, Steigerung von Empathie sowie Perspektivübernahme. Allesamt Fähigkeiten, die uns in einem 360 Grad-Verständnis zugute kommen.

Nicht nur, aber auch dem Marketing - in einer menschbezogeneren Ökonomie.