Aus neurowissenschaftlichen Studien wissen wir, dass eine Botschaft, die uns über verschiedene sensorische Kanäle erreicht, einen neuronalen Verstärkungsmechanismus aktiviert: Die Wirkung addiert sich nicht nur, sondern erhöht sich bis auf das 10-fache. Der Fachbegriff für dieses Phänomen lautet „Multisensory Enhancement“ bzw. „Superadditivität“. Soweit die Forschung.
Einen erfrischenden und inspirierenden Blick in die Praxis der Produktgestaltung gibt der Industriedesigner Jinsop Lee in seinem TED Vortrag „Design for all 5 Senses“. Publikumswirksam eröffnet er die Rede mit der Frage: „Warum ist Sex so gut?“
Doch vor der Antwort steht ein kurzer Rückblick in Lee’s Studentenzeit. Die Jungdesigner erhielten die Aufgabe, eine Solar-Uhr zu gestalten. Lee entschied sich für Zwergen-Sonnenblumen, deren Blütenköpfe dem täglichen Sonnenlauf folgen. Gute Idee. Seine Kollege Chris platzierte fünf Vergrößerungsgläser über fünf Schnapsgläsern, die mit verschiedenen Aromen gefüllt waren. Je nachdem, wo die Sonne gerade steht, wird jeweils eines der Aromen erwärmt und verströmt seinen Duft. So wird die Tageszeit schon aus der Entfernung via Duft signalisiert. Die bessere Idee.
Falls Sie sich nicht schon gedacht haben, warum Sex so gut ist – Lee erhielt die Antwort von einer jungen Dame, die mutmaßte, dass es an der Beteiligung aller fünf Sinne liegt. Für Lee ein Geistesblitz, der ihn dazu inspirierte, verschiedene Erlebnisse unter dem Aspekt sensorische Integration zu untersuchen. Dazu entwickelte er den „5 Senses Graph“, der in der Waagerechten alle sensorischen Kanäle aufführt, in der Senkrechten eine Bewertungsskala von 0 bis 10 bietet.
In der Folge untersuchte der Designer verschiedene Erlebnisformen. Motorradfahren beispielsweise punktete bei Hörsinn, Haptik und Sehsinn mit satten 10, Geruch kam noch auf 3 Zähler. Fertignudeln erhielten für Geschmack und Geruch 7 Punkte und 3 für das Schlürfgeräusch, das beim Verzehr entsteht. Doch keines der analysierten Erlebnisse kam auf das perfekte Ergebnis „5 x 10“. Nur eines kam ganz nah ran – „great sex“. Gleichzeitig die Antwort auf die Eingangsfrage und die Erklärung, warum Chris Solar-Uhr nicht nur gut, sondern genial war. Während Lee’s Design vor allem den visuellen Sinn und ein wenig den Tastsinn anspielte, kreierte Chris die erste Uhr, die Duftkommunikation nutzt – 9 Punkt für Olfaktorik auf dem „5 Senses Graph“.
Für Lee als Insider auch ein Beispiel, das auf die typische Vorgehensweise von Designern verweist – bis heute würden vorrangig visuelle Elemente und nachgelagert haptische Aspekte fokussiert. Die anderen Sinne werden hingegen weitgehend ignoriert. Dabei zeige Chris Duft-Uhr, wie die Integration auch nur eines weiteren Sinnes ein tolles, tatsächlich neues Produkt hervorbringen könne.
So stellt Lee zum Schluss die Frage, was wäre, wenn man im Produktdesign beginnen würde, alle 5 Sinne zu berücksichtigen? Beispielsweise indem man ein Bügeleisen mit einem Sprühmechanismus ausstattet, in den man seinen Lieblingsduft einfüllen kann – was hoffentlich auch diese Tätigkeit vergnüglicher gestalten würde. Oder eine Zahnbürste mit einem Stil versieht, der nach Bonbons schmeckt. Sobald der süße Geschmack nachlässt, ist es auch an der Zeit, die Bürste auszutauschen ... Schöne Beispiele dafür, wie die Sinne die Kreativität beflügeln können und ebenso das Produkterlebnis. Im multisensorischen Design schlummert noch viel Potential für eine Fülle neuer, begeisternder Produktideen.
Weiterführende Infos
http://www.ted.com/talks/lang/de/jinsop_lee_design_for_all_5_senses.html