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Die Hand als Teststation für Qualität

Kaufentscheider Tastsinn

Die Hand als Teststation für Qualität ©stapag

Ob Mango, Pullover oder Auto – die Hand spricht bei der Kaufentscheidung ein gewichtiges, wenn nicht das entscheidende Wörtchen mit. Verlockende Optik fängt zwar den Blick ein, doch lernen wir auch von Kindesbeinen an: Der Augenschein kann trügen.

Noch bevor sich der Sehsinn entfaltet, entwickeln sich die ersten haptischen Codes: Im Mutterleib nuckeln wir z.B. schon am Däumchen – welch beruhigendes Gefühl! Sobald der neue Erdenbürger das Licht der Welt erblickt, schwelgt er geradezu in haptischen Gefühlsbädern, räkelt sich wohlig in einer weichen Schmusedecke, saugt begierig am Fläschchen, gluckst im Prickelschaum eines warmen Bades …

Die Hand als Teststation für Qualität

Der Beginn einer intensiven, haptischen Erkundungsreise in die Umwelt. Was immer greifbar ist, wird befühlt, gedrückt, nicht mehr aus den Finger gelassen, wie z.B. das Lieblingskuscheltier, oder im Gegenteil so schnell nicht mehr angefasst. Paradebeispiel: die heiße Herdplatte. Schon früh ist die Hand ist zu unserer Teststation für Qualität avanciert.

Der Grundstock haptischer Prägungsmuster bildet sich unbewusst und ist bereits im Alter von sieben Jahren abgespeichert. Jede Berührung weckt intuitiv Assoziationen und löst entweder angenehme oder unangenehme Gefühle aus.

Schon mal verfühlt?

Ein Leben lang bildet der Tastsinn die Brücke zur materiellen Welt, lässt sie uns begreifen, erfassen und handhaben. Sobald wir verunsichert sind – ob in einer zwischenmenschlichen Beziehung oder bei der Beurteilung von Produktqualität – kommen die Hände ins Spiel und prüfen, was wahr ist und was nicht. Denn wir können uns zwar vergucken, auch verhören, aber verfühlen? Eher nicht!

Haptik-Forschung ist eine noch junge und komplexe Disziplin. Zu den Pionieren zählt Dr. Martin Grunwald, Gründer und Leiter des Haptik-Forschungslabors in Leipzig. Hier wird Grundlagenforschung betrieben, die zum Großteil finanziert wird, indem neue Industrieprodukte auf haptische Qualitäten getestet werden.

Fühlen als Forschungsfokus

Dabei findet Grunwald Fragebögen für die Testkandidaten wenig hilfreich. Denn wie Worte finden für unbewusste Prägungsmuster, die sich zudem auf Billionen spezialisierte haptische Sensoren verteilen, welche sich wiederum von den Fingerspitzen bis unter die Haut und in Organen, Muskeln, Gelenken ausbreiten? Entsprechend arbeiten Grunwald und Team u. a. mit Apparaturen, die motorische Signale registrieren und messen, z.B. wie lange eine Flaschenöffnung in Lippenkontakt bleibt?

Für die erfolgreiche Gestaltung von Produkthaptik muss laut Grunwald ebenso analysiert werden, „… welche Tasterfahrungen Ihre Kunden gemacht, welche Tastumwelten die potentiellen zukünftigen Käufer geprägt haben“. Man denke z.B. an die heutigen Kinderzimmer, gefüllt mit digitalen Nannys.

Des Weiteren muss das Material zu Umwelt und Einsatzzweck passen: „Unsere haptischen Präferenzen sind immer auch an Kontexte, an Produktumgebungen gebunden.“ Beispielsweise eine kuschelige Decke aus Angora-Fasern – zum Muckeln für den Nachwuchs oder auf dem Fernsehsofa herzlich willkommen, aber fürs Picknick im Grünen oder für den vierbeinigen Freund wohl nicht das Material der Wahl.

Zukunftsvision normierte Haptik

Auch am Fraunhofer Umsicht-Institut beschäftigt man sich seit einigen Jahren mit dem Forschungs-Neuland Tastsinn. Um objektive Daten zu erhalten, haben Sabrina Schreiner und Kollegen einen Haptik-Versuchstand konstruiert, der verschiedene taktile Signale analysieren kann.

Den Probanden werden unterschiedliche Materialien zum Fühl- und Streicheltest unterbreitet, dann werden sie um Bewertungen gebeten: Wie fühlt es sich an? Eher glatt, rau, klebrig, samtig...? 

Gleichzeitig kommen Messgeräte zum Einsatz, z.B. eine 3D-Kraftmessplatte, eine Wärmebildkamera oder ein Geschwindigkeitsmesser. So können subjektive Aussagen mit objektiven Kennzahlen kombiniert und verglichen werden, um daraus wissenschaftlich valide Schlüsse ziehen zu können.

Die Zielsetzung für die Zukunft lautet, auch haptische Eigenschaften analog z.B. zu normierten Farben objektiv mess- und definierbar zu machen. 

Haptik-Vorreiter Autoindustrie

Während haptisches Design in vielen Produktbereichen noch keine Schlüsselrolle spielt, ist die Automobilindustrie längst auf das neue Forschungsfeld eingeschwenkt. Denn wer gibt schon viel Geld aus, ohne alles, was berührbar ist, auch mit eigenen Händen zu prüfen? Das Ergebnis dieser Fühltests unserer Hand als Teststation für Qualität ist schließlich kaufentscheidend.

Beispiel SEAT: Hier wird jedes Bedienelement eines Autos – vom Lenkrad bis zum Temperatur-Regler – von Werkstoff-Spezialisten optimiert. Ihr Ziel ist „perfekte Haptik“, dass sich die Bedienelemente „besonders präzise und angenehm anfühlen“. Und dafür nimmt man sich auch Zeit. Rund drei Jahre arbeiten die Werkstoff-Teams an der Haptik, bevor sie einem Modell Serienreife bescheinigen.

Warum man bei SEAT mit soviel Sorgfalt an der haptischen Qualität arbeitet, begründet Ingenieur Raúl Funes folgendermaßen: „Autofahrer berühren jedes Bedienelement während der Nutzungsdauer eines Wagens im Schnitt rund 5.000 Mal. Unsere Forschung verbessert das Fahrerlebnis zwar ’nur’ in Details, hat aber insgesamt sehr großen Einfluss auf die Freude am Fahren, die ein Auto vom ersten bis zum letzten Kilometer bereitet.“

Haptischer Gestaltungsprozess

Für den haptischen Gestaltungsprozess werden auch die Feedbacks (potentieller) Kunden eingeholt, denn: „Wir wissen natürlich, dass jeder Mensch seinen Tastsinn individuell wahrnimmt. Wenn wir diese Empfindungen wissenschaftlich vergleichen, kommen wir zu objektiven Ergebnissen. Unter anderem führen wir jedes Jahr über 150 Blindstudien durch. Dabei verbinden wir den Testern die Augen, damit sie sich auf die Sensorik ihrer Hände konzentrieren. Wir legen ihnen Prototypen von Bedienelementen vor, bitten sie, diese zu berühren, notieren ihre Einschätzungen und werten diese systematisch aus. Daraus ziehen wir aussagekräftige Rückschlüsse, welche Werkstoffe einen optimalen Mix aus Rutschfestigkeit, taktilem Feedback und angenehmer Oberflächenstruktur ermöglichen.“

Apropos verbundene Augen – Marken mit haptischem USP erkennt man blind. Denken Sie z.B. an die Coca Cola- Flasche, Rittersport oder ein Nutella-Glas. Ikonen, Ausnahmen – noch viel Luft nach oben ...

Das gilt selbstverständlich auch für den Marketingbereich. Wie man mit haptischen Botschaftern Werbekampagnen optimiert und unsere Hand als Teststation für Qualität mit einbezieht, erfahren Sie in unserem kostenlosen Whitepaper „Hapticals – Multisensorische Markenbotschafter“. Inklusive Begründung und Fallbeispiele, einfach downloaden.