Handarbeit liegt wieder im Trend. Nicht nur das: Über die westliche Welt ist ein regelrechter Strick-Boom hereingebrochen. Der ehemals angestaubte Zeitvertreib ist wieder salonfähig, wird in der U-Bahn betrieben, in Vorlesungen und sogar bei eigens organisierten Handarbeitstreffen. Das 80er Jahre-Credo „Mach es selbst“ hat wieder an Bedeutung gewonnen.
Das Internet befeuert die Entwicklung. Blogs, Podcasts, Pinterest-Accounts: Die globale Strickgemeinschaft hat das World Wide Web längst erobert, hilft sich gegenseitig bei der Auswahl von Wollsorten und Stoffen, präsentiert stolz ihre Arbeiten und Portale wie dawanda.de ermöglichen darüber hinaus sogar die Monetarisierung des Hobbys.
Was hat es zu bedeuten, wenn ein eigentlich totgesagtes Handwerk eine solche Renaissance erlebt? Schließlich ist Kleidung günstiger denn je, nicht zuletzt wegen ihrer Produktion in Fernost. Darüber hinaus ist sie jederzeit verfügbar, denn selbst wenn die Läden geschlossen sind, können wir unsere Zalando-Einkaufskörbe füllen, bis die Kreditkarte ächzt.
Stricken macht glücklich
Ganz einfach: Handarbeit entspannt. In einer Welt, in der unser Gehirn ständiger Reizüberflutung ausgesetzt ist, erscheint die haptische Betätigung des Strickens wie eine traumhafte Oase der Ruhe - „zwei links, zwei rechts“ statt komplexer Inhalte. Das sorgt nicht nur für eine ausgeprägtere Fingerfertigkeit, sondern es macht darüber hinaus sogar glücklich.
Das hat Betsan Corkhill herausgefunden, seines Zeichens Stricktherapeut. Er befragte 3545 Stricker und mehr als die Hälfte von ihnen gab an, sich nach dem Stricken „sehr glücklich“ zu fühlen. Einige von ihnen räumten außerdem ein, dem Hobby nur aus Gründen des Stressabbaus und der Entspannung nachzugehen.
Dass diese Form der Handarbeit uns derartig entspannt, hat einen Grund: Sie ist greifbar. So fristen immer mehr Menschen ein Dasein an Schreibtischen und führen tagtäglich Aufgaben aus, deren Auswirkungen sie nur schwerlich oder gar nicht beurteilen können. Das ist beim Stricken anders, denn hier hat man etwas in der Hand und sieht augenblicklich Ergebnisse.
Handarbeit in Zeiten haptischer Verarmung
Doch sind es wirklich nur Nadel und Wolle, die uns zu dieser Form der Meditation verhelfen? Nein, denn ob Kochen, Backen, Malen, Fotografie, Schreinern, Musizieren oder das Lösen von Kreuzworträtseln: die haptische Beschäftigung mit Dingen lässt unser Gehirn Dopamin ausschütten.
Kreativität und der Do-it-yourself-Gedanke sind also nicht nur Konsumkritik, sondern auch das Streben nach Glücksgefühlen. Wenn wir etwas erschaffen, dessen Ästhetik wir im direkten Anschluss an den Handarbeitsprozess bewundern können, fühlen wir uns glücklich und haben das Gefühl, die Dinge in der Hand zu haben – Selbermachen statt Verantwortung abgeben.
Dies ist in einer Zeit der haptischen Verarmung, der Tastaturen und der Computerbildschirme besonders wichtig. Denn nur durch die Betätigung unserer Hände behalten wir den Bezug zur Realität.