Schon 1900 stellte der deutsche Soziologe Georg Simmel die These auf, dass Geld die psychologische Bedeutung von Gott übernommen hat, indem es uns ein „Gefühl von Ruhe und Sicherheit“ in die Hände spielt, das der „Fromme in seinem Gott findet“. Die digitale (Finanz)Welt war zu dieser Zeit noch Zukunftsmusik, von keinem visionären Denker präludiert.
Haptik und Bargeld
Heute zählen finanzielle Transaktionen im abstrakten Raum zum Alltag. Doch die psychologische Wirkung von Bargeld bleibt davon unberührt. Öffentlichkeitswirksame Überlegungen maßgeblicher Institutionen und Personen zur Abschaffung des Bargeldes rufen hierzulande vernehmbaren Widerspruch hervor. Unser haptischer Sinn und das Bargeld bilden eine ganz besondere Liaison.
Wie es Claudia Hammond anlässlich eines Interviews zur Übersetzung ihres Buches „Erst denken, dann zahlen: Die Psychologie des Geldes und wie wir sie nutzen können“ ausdrückt: „Geld ist die Kommerzialisierung von Vertrauen“.
Die Grundlage bietet ein kulturell längst verankertes Muster: Zwar hat der Geldschein im Gegensatz z.B. zur Goldmütze keinen eigenen Wert, doch er impliziert das Versprechen, ihn gegen Waren oder Dienstleistungen eintauschen zu können.
Wohlstand als Lebensziel
Die Bedeutung des Geldes hat im kapitalistischen Höhenflug weiter zugenommen. Hammond berichtet z.B. von einer Umfrage unter US-Studenten, in der drei Viertel der Befragten angaben, dass finanzieller Wohlstand zu ihren primären Lebensziele gehöre – bei einer Studie vor 30 Jahren waren es nur halb so viele Probanden, die sich dieser Priorität verschrieben.
Die Motive für finanziellen Besitz variieren nach den Untersuchungen der britischen Psychologin abhängig vom Persönlichkeitstypus. Sie unterscheidet „Cash-Splasher“, die verschwenderisch mit Geld umgehen, am liebsten vor Publikum; „Hamsterer“, die ihr Sicherheitsbedürfnis mit Geldhorten befriedigen und „Pfennigfuchser“, die vorzugsweise den günstigsten Preis wählen. Dazu gesellen sich – wie üblich bei Cluster-Verfahren – diverse Mischtypen.
„Verlustaversion“
Was die meisten von uns verbindet, nennt sich in der Fachterminologie „Verlustaversion“ – ein archaisches Verhaltensmuster, das auch in der aktuellen Finanzpolitik der Zinssenkung greift.
Der Großteil der Menschen betrachtet diese Intervention von höherer Stelle als Indiz dafür, dass die Wirtschaft schwächelt, und konzentriert sich als Gegenmaßnahme darauf, Reserven zu schaffen. Damit bewirkt die Zinssenkung genau das Gegenteil von der mit ihr verbundenen Absicht.
Bargeld aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns
Bereits die Aussicht auf Geld kitzelt das Belohnungssystem des Gehirns wach und motiviert es, Glückshormone auszuschütten. Ähnlich wie Kinder, die es lieben, zwischendurch die Schätze ihres Sparschweins zu berühren und zu zählen, haben auch viele Erwachsene Freude daran, Bargeld bei ihrem Geldinstitut respektive am Geldautomaten abzuheben.
Die unauflösbar verflochtene Wechselwirkung zwischen unserer Haptik und Finanzen ist unstrittig.
Nach wie vor wecken greifbare Schätze Sicherheitsgefühle und stiften als haptische Kostbarkeit eine besondere Beziehung zum Geld. Vor diesem Hintergrund wird einmal mehr verständlich, warum Kartenzahlungen das Schmerzzentrum des Gehirns weniger aktivieren als das Zücken von Scheinen.
Dennoch zählen gerade auch die Banken zu den Treibern der Bargeldabschaffung. Der ordnende Umgang mit Münzen und Papier ist ihnen schlicht zu teuer. Allerdings werden die neuropsychologischen Folgen einer bargeldlosen Gesellschaft für den ohnehin schrumpfenden Kundenbestand in keinem Zukunftsszenario gewichtet.
Das sollten sie aber, denn schon heute zeigt sich, dass das angestrebte reine Online-Business nicht ohne haptische Kommunikationsinstrumente wie Direktmailings funktioniert: Kein dauerhaftes Geschäftsmodell im virtuellen Raum ohne haptisches Storytelling.
Was für uns als Verbraucher und von den Banken fast schon verzweifelt umworbene Klientel noch am Bargeld hängt, untersuche ich im zweiten Teil meines Bargeldblogs.
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Was ist zu tun? Wo liegen die Vertriebsansätze der Zukunft? An einer maßgeblichen Antwort - die allerdings nicht den Anspruch erhebt, die einzige zu sein - versuchen wir uns in Teil 2: „Haptisches Vertrauen“.