Die ersten großen Erkenntnisse der Hirnforschung datieren bereits aus dem Beginn der 90er Jahre. Allen voran die Entdeckung, dass über 90% unseres Handelns nicht bewusst reflektiert ist, sondern implizit auf Basis gespeicherter Muster abläuft. Ein Paradigmenwechsel, zu dem es seinerzeit Schlagzeilen regnete, doch der große Aufklärungsschub blieb erstmal aus.
Fragt man Forscher nach den Gründen, wird meist ins Feld geführt, dass die Ergebnisse der Hirnforschung auch eine neuerliche Kränkung des Menschenbildes bedeuten.
Der vorherrschende Zeitgeist nämlich fokussiert den Menschen als Herrn seiner Sinne, dessen Entscheidungen auf vernünftigen Erwägungen basieren. Bahnbrechende Erkenntnisse wie die der Neurowissenschaften setzen sich erst nach zwei, drei Generationen durch.
Mittlerweile häuft sich die mediale Berichterstattung, auch jenseits spezieller Wissensformate. Verpackt in Infotainment-Ansprache und Happentechnik, werden Fakten aus der Hirnforschung an breitere Zielgruppen gebracht. So publizierte die Bildzeitung nach dem Deutschen Neurologenkongress Ende September in Dresden „10 spannende Fakten über Ihr Gehirn“.
Hier wird dem Lesepublikum Wissen in bildhafter Sprache nahe gebracht. Beispielsweise dass unser Hirn pro Tag die Kalorienmenge eines Schnitzels benötigt, um gut zu funktionieren, schnell wie ein Porsche ist und täglich von „fast zehn vollen Badewannen Blut“ durchspült wird, aus dem es sich den Sauerstoff für seine Arbeit zieht.
Oder dass Liebe und Hass die gleichen Hirnregionen stimulieren und Käse perfektes Hirnfutter ist, denn seine Aminosäuren unterstützen die Weiterleitung von Informationen und stärken die Konzentration.
Der sinnesspezifische Sprachstil erleichtert dabei nicht nur das Verständnis, sondern hilft, die Informationen zu verankern. Denn Bilder im Kopf wecken mehr Emotionen als abstrakte Formulierungen, was zur Aktivierung größerer Neuronennetzwerke führt, die wiederum das Speichern vereinfachen.
Auch der Focus greift das Neurothema auf, online und via Focus TV. Einleitend zu dem Titel „5 neue Fakten übers Hirn“ wird die Konsistenz der grauen Zellen mit Tofu verglichen, die Gedächtniskapazität in Analogie zur Computertechnik als Speicherplatz mit vier Terabytes bezeichnet.
Ebenso anschaulich werden die Fakten über das Hirn transportiert. Wer sich den Kopf stößt, braucht z.B. keine Angst zu haben, dass sich dabei unwiderruflich Hirnzellen verabschieden, denn Stammzellen sorgen für die Reparatur.
Weitere Brückenschläge ins Alltagsleben: Zweisprachigkeit stärkt die Widerstandsfähigkeit gegen Altersdemenz, und Spätzünder sind kein Grund zur Sorge, denn das Hirn bildet bis zum Alter von sieben Jahren zwar 95% seines Volumens aus, doch die innere weiße Substanz mit ihren Gehirnwindungen entwickelt sich bis ins dritte Lebensjahrzehnt weiter. Ergänzend sei angemerkt, dass sich unser Hirn ein Leben lang verändern kann.
Neben der lebendigen Darstellung wird bei dieser Form der Wissensvermittlung zudem die Bedeutung für das alltägliche Leben kommuniziert. Ein Königsweg, um Gehör zu finden. Denn Relevanz ist das entscheidende Auswahlkriterium unseres Hirns, um das Bewusstsein einzuschalten.
Selbst wenn die für den Alltagsgebrauch geschnürten Wissenspäckchen nicht immer den Anforderungen wissenschaftlich differenzierter Sicht- bzw. Ausdrucksweise entsprechen, kann man zugestehen: Sie helfen, Wissen aus dem Elfenbeinturm ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.