Die unbewusste Macht der Sinne zählt zu den Schlüsselerkenntnissen, die den Metatrend Wissenschaftsmarketing beflügeln. Als Basis dienen die seit Anfang der 90er Jahre publizierten Grundlagenstudien der Hirnforscher, die alle zu einem Ergebnis kommen: Der Mensch nimmt die Welt primär über seine Sinne wahr, die Ratio ist nachgelagert.
Denn in jeder Sekunde empfangen wir unbewusst unglaubliche 11 Millionen Bit Sinnesreize. Eine gigantische Menge, die für das bewusste System des menschlichen Gehirns kaum ansatzweise fassbar ist.
Jede Duftnote, jede Farbe, Form, Berührung und Bewegung, jeder Ton und Gaumenkitzel sind mit implizit gespeicherten Assoziationen und Emotionen verknüpft. Ihre unbewusste Decodierung ist sowohl von individuellen Sozialisationsfaktoren als auch kulturellen Prägungsmustern abhängig.
Denken Sie z.B. an die Farbe Weiß – in westlichen Kulturen von romantischen Bräuten für den „schönsten Tag des Lebens“ bevorzugt, in Japan die Farbe der Trauer und des Todes. Ebenso gibt es sensorische Signale, die unabhängig vom Kulturkreis wirken. Beispielsweise ruft mentholhaltige Luft in jeder Himmelsrichtung eine Kälteempfindung wach.
Multisensory Enhancement
Überindividuell gilt: Sinnesreize werden zunächst unbewusst verarbeitet und bewertet. Nur ein Bruchteil der sensorischen Information – rund 40 Bit – landet samt Vor-Urteil eine halbe bis eine ganze Sekunde später im reflexionsbegabten präfrontalen Kortex.
Voraussetzung für den bewussten Empfang: Der sinnliche Reiz weckt Emotion und wurde bereits unbewusst als persönlich relevant aus der Infoflut gefiltert. Die implizite Bewertung, auch im Sinne von Ja-/Nein-Entscheidungen – wird vom Bewusstsein meist übernommen.
Der Einfluss sensorischer Reize, der mit ihnen verbundenen Emotionsqualitäten und Assoziationen, ist allerdings nicht davon abhängig, dass er uns bewusst wird. Im Gegenteil: Wir werden im infogefluteten Alltag nach Schätzungen der Hirnforscher zu weit über 90 Prozent von impliziten Weichenstellungen geleitet.
Werbekommunikation und Marketingmaßnahmen machen dabei keine Ausnahme. Die Studien zum Einfluss sensorischer Signale im Marketing häufen sich und belegen immer wieder: Ob haptische Reize, von der Gewichtsklasse bis zur Oberflächenberührung, Duftnuancen oder Farbtöne usw. – jedes Signal aktiviert einen impliziten Code, von der Anzeige bis zur Verpackung, und beeinflusst damit schon unbewusst unsere Wahrnehmung, Qualitätsurteile und Kaufentscheidungen.
Als wissenschaftlich gesichert gilt ebenfalls, dass die (Werbe-)Wirkung umso größer ist, desto mehr sensorische Reize die gleiche Botschaft vermitteln. Laut Hirnforschung kann sich die Wirkung einer Botschaft pro zusätzlich angespieltem sensorischen Kanal bis auf das 10-fache erhöhen – ein neuronales Verstärkungsphänomen, das auf den Begriff „Multisensory Enhancement“ getauft wurde.
Implizite Erfolgsfaktoren für multisensorisches Marketing
Die Botschaft von der hohen und nachhaltigen Überzeugungskraft multisensorischen Marketings ist längst in den Marketingabteilungen der großen Marken und zukunftsorientierter Mittelstandsunternehmen angekommen. Vorreiter wie die Automobilindustrie definieren ihre Produkte vom Farbenspektrum und Sound der Schalter über das Berührungsgefühl, das Oberflächen auslösen, bis hin zum Duft des Innenraums.
Um multisensorisches Marketing so effektiv wie effizient praktizieren zu können und auf dieser Basis Markenpersönlichkeiten mit glaubhaften Botschaften zu entwickeln, müssen die Grundlagen der Hirn- und Sinnesforschung mit Marketingfachwissen kombiniert werden.
Ein kleiner Blick in ein komplexes Themenfeld. Zu den klassischen und von der Hirnforschung bestätigten Erfolgsfaktoren gehört z.B. Empathie für die Zielgruppe: Wie tickt sie? Welche Bedürfnisse und Wünsche sind primär bzw. welche Ziele werden verfolgt? Wie spreche ich diese Menschen emotional an?
Mit Rekurs auf die Sinnesforschung: Welche haptischen, visuellen, akustischen, olfaktorischen oder gustatorischen Reize sind für die Zielgruppe wie codiert?
Mit Blick auf das Markenimage bzw. die Qualitäten eines Produktes oder einer Dienstleistung: Welche sensorischen Signale unterstützen die zu kommunizierenden Aspekte sowohl in markenaffiner als auch zielgruppengerechter Form?
Konsistenz ist Voraussetzung für Glaubwürdigkeit
Wie eine aktuelle US-Studienreihe zum Thema multisensorisches Marketing zeigt, gilt auch in diesem Bereich tradiertes Wissen aus der Markenführung: „Bleib Deinem Markenkern treu!“
Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen zwei nach vorherrschendem Image differenzierte Markenkategorien: einerseits so genannte „sincere brands“, worunter in dieser Studie z.B. Ford, Coca-Cola, Hallmark gefasst wurden. Der Bedeutungsradius von „sincere“ umfasst Adjektive wie aufrichtig, herzlich, ernst, echt.
Zum anderen standen „exiting brands“ wie z.B. BMW, Pepsi, Mountain Dew auf dem Prüfstand – also spannende, mitreißende, er- und aufregende Marken.
Für die Testreihe spielte man den Probanden u.a. verschiedene Verpackungsdesigns für beide Markentypen in die Hände. Die Bilanz der Auswertung: Überraschende, ausgefallene Verpackungen für die „exiting brands“ wurden – unabhängig vom Produktmaterial sehr positiv bewertet.
Hingegen erwiesen sich ungewöhnliche, unerwartete Verpackungen für „sincere brands“ als kontraproduktiv, denn ihrem Markenimage entsprechend werden sie auch mit Konsistenz und Zuverlässigkeit verbunden. Das heißt, die Verpackungsdesigns oder auch Promotion-Accessoires sollten auf Feel und Look des Produktes abgestimmt sein.
Einer der Kernaspekte, die der Experimentierfreude im aufblühenden multisensorischen Marketing natürliche Grenzen setzt. Wie auch die Hirnforscher betonen: Konsistenz ist Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. Auch sensorische Signale müssen das Markenimage spiegeln und spürbar machen, um ihre unwiderstehliche und nachhaltige Wirkung zu entfalten.
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