Kleidung sollte funktional sein, gewiss. Sie soll aber auch, dies zum wichtigen zweiten, unsere Persönlichkeit, unsere Mode-Seele wiederspiegeln.
Kurzum: wir sollten uns mit ihr identifizieren können. So sagt eine braune Lederjacke mit Flickenärmeln etwas anderes über unser Persönlichkeitsprofil aus als ein schwarzer Nadelstreifenanzug. Mode muss nicht unbedingt praktisch sein, aber sie muss gefallen und Spaß machen.
Die nackten Zahlen der Bekleidungsindustrie sind weniger spaßig. Hinter den Kulissen der Boutiquen und Großhändler tobt ein knallhartes Geschäft. Die Schlacht um die gezückten Kreditkarten der Modeklientel ist in vollem Gang. Der Verdrängungswettbewerb zwischen stationärem Handel und Online-Versendern, zwischen Boutiquen, Kaufhäusern und Billigketten ist voll entbrannt.
Von den Ramschern einmal abgesehen, ist beim stationären Handel für die Kaufentscheidung kaum etwas so entscheidend wie die Produktpräsentation.
Diese beginnt beim Produkt selbst: Ein nachlässig oder langweilig designtes Kleidungsstück wird keinen Kunden hinter dem Ofen hervorlocken. Keine noch so durchdachte Marketingkampagne kann diesen Umstand ändern. Von besonders hoher Relevanz ist nämlich die zur Verfügung stehende Zeitspanne, in der die – vornehmlich weibliche – Klientel ihre Kaufentscheidung trifft.
Sie umfasst nämlich nur schüttere Millisekunden – und hat doch einen massiven Einfluss auf den realen Verkaufserfolg. Was nicht auf den ersten Blick gefällt, wechselt in der Regel auch nicht den Besitzer. Zu groß das Angebot, zu unerschöpflich die Alternativen. Schließlich wartet das nächste Produkt nur ein Regal weiter.
Modewelten off- und online
In der Modewelt stand der Homo Oeconomicus seit jeher auf verlorenem Posten. Stattdessen treffen wir - eine gewisse Mode-Affinität vorausgesetzt - im Bekleidungsgeschäft schnelle, unbewusste und emotionale Entscheidungen.
Anders verhält es sich bei Online-Einkäufen. Dort sind Spontankäufe eher die Ausnahme. Dank Big Data verfügen wir hier sogar in Einblicke von Online-Trends: So wird an Sonn- und Montagen häufig nach neuer Kleidung recherchiert, Angebote werden verglichen. Am Mittwoch und Donnerstag schnellen dann die Verkaufszahlen in die Höhe, die eingangs ausgewählten Produkte werden bestellt.
Dieser sogenannte Distanzhandel findet oftmals nicht mehr via PC statt, sondern über mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablet-PCs. Couch Commerce erfreut sich höchster Beliebtheit.
In diesem Business positioniert sich nun auch Google als Mode-Scout und will seine Fashion-Trends zweimal jährlich anbieten. Sozusagen mit einer Vorhersage-Garantie für Stoffe und Materialien, für Farben, Schnitte, Accessories etc.
Die simple Arithmetik: steigende Suchanfragen = In. Abnehmende Suchanfragen = Out.
Mode als haptisches Produkt
Dass die Kaufentscheidungen im stationären Handel kurzfristiger ausfallen, ist hingegen kein Wunder, denn bereits das Berühren eines Produkts löst das Gefühl des Besitzens aus. Dadurch steigert sich implizit unsere Wertwahrnehmung und somit ändert sich auch unser Verhalten.
Mode und Haptik stehen in einer wichtigen Relevanzbeziehung: Wenn wir ein Produkt, das uns optisch anspricht, in die Hand nehmen und es sich gut anfühlt, haben wir es gedanklich schon halb gekauft.
Marke, Farbe oder Schnitt, Material und seine Verarbeitung – hier schlägt die Stunde unseres Wahrheitsinns, die haptische Wahrnehmung: Fühlen, Tasten, Streicheln, Drehen und Wenden – wir begreifen die modischen Objekte sinnlich und spontan, Kaufentscheidung oft genug inklusive.
Zwar hat sich auch der Online-Handel zu einem unverzichtbaren Markt gemausert und bietet Möglichkeiten, bei denen der Ladenverkauf passen muss. Der stationäre Anbieter verfügt dafür über andere Trümpfe, die nur er ausspielen kann. Multisensorisch komponiertes Ambiente, Ware zum Anfassen.
Ideale Voraussetzungen für schnelle Kaufentscheidungen. Denn welche Produkte könnten von größerer haptischer Relevanz sein, als diejenigen, die wir täglich auf unserer Haut tragen?