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Nudging – Der Mensch als Marionette?

Freier vs. gelenkter Wille? (Bild: tiffany, morguefile.com)

Unser Alltag steckt voller Entscheidungen. Deponiere ich meine Finanzen bei einer transparent nachhaltig agierenden Bank oder entscheide ich mich für die herkömmliche Variante? Kaufe ich den knackigen Salat aus der Gemüseabteilung oder doch lieber die Tiefkühlpizza? Entscheide ich mich für ein Zugticket oder tanke ich das Auto voll? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

In einer Welt, in der uns so viele Alternativen zur Verfügung stehen, hilft uns gelegentlich ein Schubs in die richtige Richtung, insbesondere dann, wenn es um eine gesündere Ernährung, den verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten oder umweltfreundlicheres Verhalten geht. Das hat nun auch die Bundesregierung erkannt: Berlin entdeckt die Verhaltensökonomie.

Die Stellenausschreibung: „Das Bundeskanzleramt sucht am Dienstort Berlin für das Referat Stab Politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben befristet bis zum Ende der 18. Legislaturperiode drei Referenten." Die Bewerber sollten "hervorragende psychologische, soziologische, anthropologische, verhaltensökonomische bzw. verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse" mitbringen.

Das dahinter befindliche Thema Nudging ist allerdings umstritten. Frei übersetzt bedeutet die englische Vokabel etwa „geführte Entscheidungsfindung“, ein Phänomen, das es akribisch zu prüfen gilt - ganz besonders heute, wo der orwellsche große Bruder allgegenwärtig zu sein scheint.

Nudging durch sensorisches Priming

Nudging durch sensorisches Priming ist allerdings schon lange Bestandteil unseres Lebensalltags.

Zitrusduft etwa verleitet uns zum Beispiel zur häufigeren Reinigung unserer Wohnung. Musik beim Einkauf inspiriert uns, bestimmte Waren in unseren Einkaufswagen zu legen.

Haptik-affines Design lässt uns zugreifen, streicheln, in Besitz nehmen. Gesichertes Wissen aus dem Neuromarketing, das in der multisensorischen Umsetzung zum Alltag vieler Marketer gehört und den Erfolg ihrer Arbeit messbar steigert.

Auch die Kommunikation über Werbemittel profitiert von diesen Erkenntnissen und setzt sie zielsicher für die unterschiedlichsten Aufgabenstellungen ein. So müssen wir beispielsweise einen Flyer zunächst auffalten, bevor wir ihn lesen können. Die dabei zu tätigende annehmende Geste fördert die Akzeptanz der Botschaft, die der Flyer vermitteln soll.

Eine Bewegung zum Körper hin wie bei logoloop fördert die Akzeptanz der damit vermittelten Botschaften. Dazu zählen auch Verhaltensbotschaften wie z.B. der richtige Umgang mit Medikamenten. So hat das Ulmer Pharma-Unternehmen TEVA ein logoloop erfolgreich in italienischen Apotheken eingesetzt. Botschaft: die 10 wichtigsten Regeln für die Medikamenteneinnahme.

Kritiker betrachten diese Form der Manipulation als einen besonders trickreichen Auswuchs der scheindemokratischen Umgehungsstraßen. Die Regierung hofft stattdessen auf ein wirksames Regierungswerkzeug, das keinen Einfluss auf die Handlungsfreiheit der deutschen Bürger haben soll. Vielmehr sollen sie Handlungsanreize erhalten.

Solche Reize umgeben uns täglich, ob im Internet, im Supermarkt oder an der Kinokasse. So ist es ein offenes Geheimnis, dass die günstigsten Produkte beim Einkauf am schwersten zu erreichen sind und auf den unteren Regalen platziert werden, um den Kaufanreiz zu verringern. Auch im World Wide Web lauern die Stupser nicht nur bei Facebook, sondern hinter jedem Call-to-Action-Button.

Diese Praktiken im großen Stil auf das Verhalten der Menschen zu übertragen birgt zwar viele Risiken, aber auch ungeahnte Möglichkeiten. Dessen ist sich der in den USA allerdings nicht unumstrittene, aber äußerst einflussreiche Rechtswissenschaftler und Wirtschaftsprofessor Cass Sunstein sicher. Es gehe um einen völlig neuen politischen Ansatz und die Methode sorge dafür, dass man Ziele ohne Gesetze und Verordnungen erreichen kann.

Eine Frage der Verantwortung

Ein Beispiel aus den USA: die Dessertauswahl in Kantinen. Wird das Obst dort besser erreichbar positioniert als der Schokoladenpudding, führt das dazu, dass sich die Kantinenbesucher gesünder ernähren und eher zur Banane greifen. Sunstein möchte betont wissen, dass derlei Verfahren keinen Einfluss auf den freien Willen des Individuums haben.

Auch in US-Kinos wurde Einfluss auf die Ernährung der Filmfreaks genommen. Kinobetreiber müssen dort beim Verkauf von Popcorn deklarieren, wie viele Kalorien die Tüte enthält. Der Konsum des Snacks aus Mais hat sich seitdem drastisch verringert. Mit Nudging ist es also möglich, das Verhalten von Menschen über ihr Unterbewusstsein zu steuern und ihr Handeln in eine gewollte Richtung zu lenken.

Nudging ist ein vielschichtiges Phänomen und kann durchaus zu einer Gratwanderung werden. Steht beispielsweise die Beeinflussung des menschlichen Ressourcenverbrauchs auf der Agenda oder gerät die politische Klimagestaltung ins Visier gestalterischer Begehrlichkeiten? Geht es um Ökonomie, Ökologie, Soziales oder politische Manipulation?

Die Regierung Merkel hat sich bislang nicht zu ihren Zielen geäußert. Fakt ist, dass die Beeinflussung menschlicher Handlungen aus den politischen Machtzentralen mit Vorsicht zu genießen ist und unbedingt transparent bleiben muss. Nur so klappt es mit der Demokratie – und in letzter Konsequenz auch mit Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft.