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Der Haptik-Effekt-Blog
von Touchmore

Am Anfang ist der Tastsinn - Die existentiellen Funktionen der Haptik

Der Leipziger Haptikexperte Martin Grunwald. (Bild: ZDF)

„Unterschätzte Sinne und Organe des Menschen“ – so lautet der Titel einer sechsteiligen Serie auf Spektrum.de

Folge 5 präsentiert ein aufschlussreiches Interview mit dem Haptikexperten Dr. Martin Grunwald, der das Haptik-Forschungslabor an der Universität Leipzig leitet. Der Überzeugungstäter forscht sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie, deren Aufträge die Finanzierung der Grundlagenforschung gewährleisten.

Hier klingt durch, was Grunwald bestätigt – im Wissenschaftsbetrieb sowie in der klassischen Psychologie setzt sich die Bedeutung des Tastsinns nur zögerlich durch. Entsprechend unterstreicht er einmal mehr die existentiellen Funktionen der Haptik.

Dabei greift er bis zur Entstehung des Lebens zurück. Schon der mikrometerkleine Körper einer Amöbe sei mit Tastzellen ausgestattet. Sie ermöglichen die Differenzerfahrung zwischen eigenem Körper und Außenwelt, spüren Nahrung auf und aktivieren bei feindlichen Berührungen den Fluchtreflex.

Die basale Bedeutung des Tastsinns für den Menschen wird schon in der achten Schwangerschaftswoche sichtbar: Reizt man die Lippen des 2,5 Zentimeter winzigen Fötus, sind lebhafte Bewegungen die Antwort.

Ein paar Wochen später nuckelt er bereits am Daumen und übt Greifbewegungen, z.B. an der Nabelschnur. Der Effekt: Das Neugeborene bringt bereits ein implizites Körperschema mit auf die Welt.

Grunwald vermutet, dass die Tastsinneserfahrungen im Mutterleib „eine Art neuronaler Basismatrix“ legen, die wiederum die Grundlage für alle anderen Sinne bildet.

Berührungen sind (über)lebenswichtig. Wie Studien zeigen, verkümmern Babys ohne Streicheleinheiten – physisch und psychisch. Von klein auf begreifen wir uns selbst und unser Umfeld durch Tasterfahrungen. Vor diesem Hintergrund warnt Grunwald vor der haptischen Verarmung einer Welt, in der Handys und Tablets schon die Kinderzimmer bevölkern.

Denn schon in jüngsten Jahren bilden wir aufgrund vielfältiger Berührungserfahrungen unbewusst den Grundstock haptischer Codes. Später sagt uns eine Berührung mehr als 1000 Worte.

Nach Grunwalds Schätzung sind die menschliche Haut, Muskeln, Gelenke und Sehnen von 300 bis 600 Millionen Tastsinnesrezeptoren besiedelt. Die verschiedenen Arten sind auf unterschiedliche Berührungsreize spezialisiert: z.B. auf Vibrationen, Druck, Temperatur.

Mit den höchst sensiblen Fingerkuppen registrieren wir Oberflächenunterschiede von bis zu 4 Mikrometern. Unsere Hände bleiben das bevorzugte Instrument, um zu erfühlen, was nicht zu sehen ist und zu begreifen, was sonst abstrakt bleiben würde. Wie Grunwald unterstreicht: „Das Gehirn lernt am besten durch direkten haptischen Kontakt und nicht durch den visuellen.“

Ein Vorzug, den sich auch zukunftsorientierte Unternehmen vom Automobil- bis zum Taschentuchhersteller zu Nutze machen. In Grunwalds Haptiklabor lassen sie erforschen, welches Haptik-Design z.B. für ein neues Cockpit, einen Kugelschreiber oder eine Outdoor-Jacke zu empfehlen ist.

Ziel ist, den potentiellen Kunden auf den ersten Griff zu überzeugen. Wie der Forscher treffend bemerkt, „entscheidet die Haptik über die Kaufentscheidung, gerade in den Sparten, wo sich viele Hersteller auf dem Markt tummeln.“