Hautkontakt ist lebenswichtig und immer noch eine stark unterschätzte Sinneswahrnehmung. Nicht von ungefähr sind haptische Chiffren in unserer Sprache allgegenwärtig.
Ob Diego Maradonas unvergessene und zum geflügelten Wort transzendierte „Hand Gottes“ oder auf uns lastende Probleme, ob harte Zeiten, windelweiche Formulierungen unserer Politiker oder Trends, auf die wir stehen – der Tastsinn ist nicht zuletzt auch ein steuerndes Element unseres Sprachgebrauchs.
Wir schauen packende Filme, hören ergreifende Lieder und empfinden Begeisterung, die uns nicht mehr loslässt. Berührungen machen abstrakte Inhalte greifbar - und für jedes Gefühl finden sich „handfeste“ Worte.
Auch gesellschaftlich haben Berührung und Körperkontakt eine ganz besondere Bedeutung. Geschäftliche Einigungen werden mit einem Handschlag besiegelt, Superstars möchte man um jeden Preis anfassen. Auf diese Weise werden schwer zu fassende Begebenheiten Realität. Was wir nicht tatsächlich greifen können, verknüpfen wir mit Gesten und haptischen Erlebnissen.
Natürlich kann Hautkontakt auch unangenehm sein. So fühlen wir uns oft unwohl, wenn wir Fremden zu nahe kommen, so gut ihre Absichten auch sein mögen. Schlimmer noch: Unsanfte Berührungen können uns Schmerzen zufügen. Eines ist unserem Tastsinn allerdings sicher: Er beschäftigt uns und löst etwas in uns aus.
Berührung und Körperkontakt sind elementare Werte
Einen tradierten besonders hohen Stellenwert haben Berührungen in der Kirche. Ob es nun der Segen in der Messe ist oder die Taufe: Ohne Berührung und Hautkontakt ist das Christentum unvorstellbar. Dies äußert sich besonders stark bei öffentlichen Auftritten des Papstes. Die Menschen hungern förmlich nach seiner Berührung oder danach, ihn berühren zu dürfen.
Kein Wunder: Menschen sehnen sich nach Geborgenheit, Sicherheit und Unterstützung. Und was suggeriert mehr Halt als ein gut gemeinter Körperkontakt zur rechten Zeit? „Ich stehe hinter dir“ oder „Ich stehe dir bei“ sind Botschaften, die durch eine Berührung vermittelt werden – in besonderen Situationen, in der Kirche, aber auch im Alltag.
Eine Streicheleinheit über den Kopf, ein mitleidiges Handauflegen oder ein Mut spendender Rückenklopfer: Durch Körperkontakt signalisieren wir Anteilnahme und Unterstützung. Statt bloß zu sagen „Ich bin für dich da“, geben wir unserem Gegenüber diese Botschaft zu spüren. Und gibt es nicht selbst in der digitalen Hochburg Facebook den so genannten „Anstupser“ als Interaktionstool?
Berührungen und Körperkontakt können sogar Heilungsprozesse unterstützen und verdrängte Gefühle zum Vorschein bringen. So ist eine Massage dazu in der Lage, uns von den Plagen einer verspannten Schulter befreien, die oftmals ein Stresssymptom ist und durch abgeschobene Emotionen ausgelöst wird. Die Hände eines Physiotherapeuten können wahre Wunder bewirken.
Ich berühre, also bin ich
Selbst wenn wir es wollten: Wir können unseren Tastsinn nicht abstellen. Während wir unsere Augen schließen und uns die Ohren zuhalten können, verspüren wir selbst mit einer eingeschlafenen Hand ein leichtes Kribbeln. Unser Tastsinn begleitet uns von Anfang an und wir können gar nicht anders, als zu tasten.
Das Existenzerlebnis des „Ich denke, also bin ich“, der erste Grundsatz des Philosophen René Descartes, wird für den Menschen des 21. Jahrhunderts zum „Ich berühre, also bin ich“.
Nicht nur das: Je weniger unser haptischer Sinn gefordert wird, desto mehr sehnt er sich nach Betätigung. Wurden wir lange nicht umarmt, wird unser Verlangen nach einer Umarmung größer und größer. Werden wir als Kind selten berührt, fehlt uns ein wesentlicher Teil unserer Entwicklung, den wir im Erwachsenenalter nicht mehr nachholen können.
Selbst die Technologisierung durch Smartphones und Tablets hat nicht etwa zur Folge, dass wir unseren Tastsinn zunehmend vernachlässigen. Ganz im Gegenteil: Haptische Tonträger wie die Schallplatte erleben ein Revival, Printmagazine feiern neue Erfolge, gegenständliche Kommunikationsträger wie physische Mailings oder Werbeartikel sind Response-Garanten.
Wir entdecken die Haptik neu, ja erobern sie uns zurück – für ein sinnlicheres Leben.