Mit der Neu-Entdeckung des Unbewussten durch die Hirnforscher wurde auch das Bild vom vernunftgesteuerten Konsumenten revidiert. Während für Freud das unbewusste Reich der Psyche vor allem das Herrschaftsterritorium verdrängter sexueller Triebbedürfnisse gewesen ist, gilt es heute als impliziter Autobiograph unseres gesamten Lebens – ein gigantischer Speicher all dessen, was wir erlebt, gefühlt, gedacht haben.
Prägungsmuster, die auch ohne unser vernunftbegabtes Stirnhirn intelligent entscheiden: relevant oder nicht, angenehm oder unangenehm – das ebenfalls unbewusste archaische Emotionssystem stellt blitzschnell die Weichen, während der bewusste Radar nur noch im nachhinein Gedanken und Überlegungen anstellen kann. Der Großteil unserer Reaktionen – geschätzte 90 Prozent und mehr – ist unbewusst motiviert. Ihr Ursprung entzieht sich weitgehend der Reflexion.
Damit wurde auch die klassische Marktforschung in ihre Schranken gewiesen. Welchen Gewinn bringt es, Konsumenten nach ihrer Meinung zu einer Anzeige oder Verpackung zu fragen, wenn sie selbst nicht ihre wahren Motive und emotionalen Prägungen kennen?
In diese Lücke rutschten Untersuchungsmethoden der Neurowissenschaftler. Immer mehr Agenturen und Marktforscher nutzen EEGs, Lügendetektoren, Augenbewegungskameras, Stimmanalysen, FMRI-Technik (Durchblutungsmessung via Radiowellen), kombiniert je nach Studienfokus, um den wahren Kaufgründen auf die Spur zu kommen. Auch bei diesen Methoden werden den Probanden Fragen gestellt, die Antworten jedoch mit den unbewussten Reaktionen abgeglichen. In diesem Sinne liefern die technischen Geräte keine selbsterklärenden Erkenntnisse, sondern erst die schlüssige Analyse komplettiert die Untersuchungsergebnisse.
Zu ihren Vorzügen zählt auch die Echtzeitaufzeichnung – im Gegensatz zu fMRI (functional magnetic resonance imaging), mit dem ebenfalls interpretationsbedürftige Aktivitäten in bestimmten Hirnregionen sichtbar werden, allerdings nicht im Moment der Entstehung. Abgesehen von den horrenden Anschaffungskosten – ab einer Millionen Dollar – werden die Untersuchungsergebnisse häufig dem Zweck der Studie angeglichen, sprich sie reduzieren die Komplexität unserer neuronalen Aktivitäten und ihrer Verarbeitungszentren im Gehirn.
Ein plastisches Beispiel: 2011 publizierte The New York Times einen Beitrag von Martin Lindstrom. Der international renommierte Marketingforscher initiierte eine fMRI-Untersuchung des iPhones. Während des Hirnscannings wurden den Studienteilnehmern Töne und Videos eines klingelnden iPhones vorgespielt. Daraufhin zeigten sich Aktivitäten im Inselcortex der Großhirnrinde. Lindstrom reduzierte die Funktion dieses Bereiches auf die Signalisierung von Liebe und Mitgefühl – die entsprechende Headline für die Zeitung lautete: „You Love Your iPhone. Literally.“
Unter den Tisch fielen dabei die Informationen, dass der Inselcortex bei gut einem Drittel aller bildgebenden Hirnstudien aktiviert wird und er zudem häufiger mit negativen als positiven Emotionen verbunden ist.
Ein Beispiel, das deutlich zeigt, wo die Grenzen gezogen sind. Das schmälert nicht den Vorteil, Einblicke in unbewusste Reaktionen der Konsumenten zu erhalten, aber gemahnt an sorgfältige Deutung, Berücksichtung des Untersuchungskontextes und kritische Reflexion der eigenen Erwartungshaltung.
Weiterführende Infos
http://www.destinationcrm.com/Articles/Editorial/Magazine-Features/The-Prospects-and-Limitations-of-Neuromarketing-90150.aspx