Am Vorabend der Frankfurter Buchmesse, die vom 8. - 12. Oktober 2014 stattfindet, geht mir als frischgebackenem Buchautor, der ich mich gemeinsam mit meinem Mit-Autor Sebastian Haupt auch live ins Getümmel am Haufe-Stand (10. Oktober 2014, 10.00 Uhr – 14.00 Uhr, Stand F71 in Halle 4.2) stürzen werde, so manches durch den Kopf.
Bertelsmann schluckt Gruner+Jahr, neue Geschäftsmodelle, die alte ablösen, die Zukunft des Journalismus, der Autoren, der Verleger und Verlage …
Gerade auch auf der Frankfurter Buchmesse werden wir einmal mehr und vielleicht besonders vehement das Aufeinandertreffen zweier Welten erleben – Haptik vs. Dgital.
Die digitale neue Welt trifft auf die alte Physische: eBook, eReader, Digital Publishing & Content vs. das multisensorisch erlebbare Universum.
Gedruckte Erlebniswelten, sei es als Buch, Zeitung, Flyer, Kalender und Karten, gehen ihre Zeiten zur Neige? Wusste nicht sogar Bill Kaulitz von Tokio Hotel bei der unlängst gesendeten drittletzten Ausgabe von “Wetten dass …” vom Aussterben der guten alten Autogrammkarte zu berichten, geopfert auf dem Hype-Altar der so genannten Selfies?
Das eigene digitale Konterfei mit dem angeschmachteten Star, hochgeladen nahezu in Echtzeit in eines der Schaufenster der eigenen digitalen Identität, vorzugsweise Facebook.
Ist das Aufeinandertreffen der beiden Kulturen ein Zusammenprall mit mutmaßlich vielerorts geargwöhntem Totalschaden für die Tradition? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sich die scheinbar Unvermischbaren zu einer neuen Welt, zu einem kompatiblem Amalgam verbinden? Eine Verbindung, die beide Elemente verbindet?
Es gibt nicht wenige Hinweise, die für Letzteres sprechen. Das eine kommt ohne das andere nicht aus – oder sagen wir: in einer Verbindung von digitaler Kommunikationswelt mit dem sinnlich Greifbaren liegt der eigentliche Fortschritt, der Treibstoff für unsere Zukunft.
Das Unberührbare der digitalen Sphären oder Produkte bedarf des Berührbaren, um verstanden zu werden und verständlich zu bleiben. Auch Giganten der digitalen Kommunikationsindustrie arbeiten mit physischem “Merkzeug”, sprich Werbeartikeln.
Die Verbindung von digitaler Welt und der real erlebbaren muss stets als Erweiterung der physischen Welt gelten, nie als Ersatz. Denn der Mensch ist und bleibt ein multisensorisches Wesen, insbesondere auch ein solches mit haptischem Erlebnishunger. Der Mensch als fühlendes Wesen darf getrost auch als Voraussetzung für jede Art von Empathie gelten. Ganz gleich ob im Privaten, in der Religion oder auch im Beruf.
Entziehe ich ihm diese einmalige Fähigkeit und reduziere ihn in seinem Erleben auf Kombinationen von Nullen und Einsen, wäre dies eine evolutionäre Reduktion – und ein kultureller Rückschritt.
Nicht von ungefähr formulierte der US-amerikanische Neurowissenschaftler Frank Wilson 1998 in seinem Buch „The Hand" die These, dass unsere Hand und deren filigrane Gebrauchsfähigkeiten unser Hirn, unsere Sprache und die gesamte menschliche Kultur allererst ermöglicht haben.
Darauf verwies unlängst – in einem gänzlich anderen, dafür aber umso berührenderem Zusammenhang – auch die Nachhaltigkeitsexpertin des DFB, Dr. Alexandra Hildebrandt, in einem Beitrag der “Huffington Post”.
Mit Blick auf Rainer Maria Rilke und die Bedeutung des durchaus wörtlich zu nehmenden Handwerklichen hält sie fest: “Das Bauen von Hand ist ein wiederkehrendes Thema bei Rilke. Die Hand bedarf, um sinnvoll zu funktionieren, der konkreten Dingwelt. Hände verkörpern für ihn Reinheit und Nähe. Sie vollziehen Handlungen, die auf die Welt zugreifen. Ihr erstes Merkmal ist ihre Offenheit gegenüber der Welt. Augen lassen sich täuschen, Hände nicht.”
Ist es da noch verwunderlich, dass Alexandra Hildebrandt bei einer Zwischenanalyse ihrer Blogbeiträge ein geradezu “haptisches Statement” bilanziert? “Vor diesem Hintergrund ist es auch selbsterklärend, dass in meinem Blog in der Huffington Post vor allem Beiträge zum Handwerk, zu Dingen, die man selbst machen, überschauen und steuern kann, am meisten gepostet, getwittert und kommentiert werden.”
Handwerk als ein menschliches Urbedürfnis bleibt angesagt, das gilt auch im übertragenen Sinn für Kommunikation und Marketing. Den allgemeinen Überdruss an Werbung und vagen bis unhaltbaren Versprechungen überbrücke ich nicht durch Superlative und Lautstärke, sondern durch wahrnehmbar gemachte, sympathisch erfahrbare Qualität.
“Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt”, heißt es so schön in einem Werbeclaim. Sebastian Haupt und mich hat das Wissen um die entscheidende Bedeutung der Haptik inspiriert und befähigt, das Handwerk des Bücherschreibens neben unserem Arbeitsalltag anzugehen, es durchzufechten und zu vollenden.
Wir freuen uns auf die Frankfurter Buchmesse 2014!!