Existenziell und unverzichtbar: Die Erkenntnisse zur grundlegenden Bedeutung des haptischen Sinneskomplexes ziehen jetzt immer weitere Kreise. Auch ein Verdienst der Pioniere auf diesem Gebiet.
So wies der international bekannte Trend- und Zukunftsforscher John Naisbitt in seinem globalen Bestseller „Megatrends“ schon 1982 darauf hin, dass „High Touch“ auch im Zeitalter des Hightech ein essentieller Bestandteil unseres Lebens bleibt. Die persönliche Berührung bildet ein Gegengewicht zum technologischen Fortschritt und ist unersetzbar – ob in privaten Beziehungen oder in der Arbeits- und Konsumwelt.
„Die Zukunft wird flauschig“
Unter dem Titel „Die Zukunft wird flauschig“ – Covermotiv Kuschelfell – erhellt jetzt die Frühjahrsausgabe des renommierten Wissensmagazins „GDI Impuls“ wichtige Facetten des haptischen Themenkomplexes. Den roten Faden für die zahlreichen spannenden Beiträge liefert der Subtitel: „Das postdigitale Zeitalter macht Daten sinnlich – und schafft völlig neue Märkte“.
Zu den Autoren zählen auch Doris und John Naisbitt. Nachdem in den letzten Dekaden die digitale Technologie im Turbotempo immer mehr Bereiche ergriffen hat, konstatierte Naisbitt schon 2007, dass parallel das Bedürfnis nach „High Touch Balance“ weiter wächst.
Im aktuellen GDI-Magazin unterstreichen die Naisbitts, dass High Touch sogar zur Voraussetzung für HighTech avanciert sei. Ihre Bilanz: Technischen Innovationen ist mehr Erfolg beschieden, wenn der Kernaspekt Körperlichkeit bzw. der haptische Sinn von Anfang an in die Entwicklung integriert wird.
Homo hapticus
Der aufschlussreiche Beitrag der Betriebsökonomin Ekaterina Petrova „Homo hapticus“ fokussiert das Thema, „Wie sich die Technik an den größten Sinn des Menschen herantastet“. Als Experte für haptisches und multisensorisches Marketing war es Olaf Hartmann ein Vergnügen, fachliches Know-how beizusteuern.
Die Autorin erläutert einführend, warum der Tastsinn zur Basis unseres Seins gehört und doch über lange Zeit von der Forschung vernachlässigt wurde. Als Hauptgründe nennt sie, dass die Haptik die animalische Seite des Menschen spiegelt, als infantil eingestuft wird – wobei außer Acht gelassen wird, wie wichtig der Tastsinn auch für Erwachsene ist, um die Welt zu be-greifen.
Darüber hinaus schien der höchst emotionale Charakter der Haptik inkompatibel zum seit der Aufklärung florierenden Konzept des Menschen als vernunftbegabtes Wesen zu sein. Last not least: „Haptik ist Sex. Liebe und Zuneigung sind für uns über die Haptik codiert.“
Abgesehen davon, dass auch mit dieser Zuordnung die Schlüsselrolle des Tastsinns für unsere Existenz untermauert wird, sind zwischenmenschliche Berührungen für den gesamten sozialen Kontext bedeutsam – von Kindesbeinen an und ein Leben lang. Berührungen sind ein Grundnahrungsmittel für das soziale Wesen Mensch.
Mit den wachsenden Erkenntnissen zur Schlüsselrolle der Haptik zeichnet sich jetzt auch in der Industrie-Forschung ein Wandel ab. Als haptischer Trendsetter im digitalen Markt grüßt Apple – wie es Olaf Hartmann auf den Punkt bringt: „Apple hat uns gelehrt, seine Geräte zu streicheln. Der motorische Code des Streichelns aktiviert Liebe, Zuneigung, Aktivität.“
Die iPhone-Touchscreen datiert aus dem Jahr 2007 – ein markanter Wendepunkt nach all den technischen Erfindungen, die sich auf den Seh- und Hörsinn konzentrierten: vom Buchdruck über das Telefon bis zu TV und PC. Auch ein Manko vor dem Hintergrund, „dass der Tastsinn in einer sehr engen Verbindung zum Lernen und Entwickeln steht.“ Neben dem sozialen Bedürfnis nach Berührung ein weiterer fruchtbarer Nährboden für die Renaissance der Haptik.
Technik für den Tastsinn
Die Industrie-Forschung sucht jetzt insbesondere nach Lösungen, eine direkte Interaktion zwischen Technik und Körper zu realisieren. Als Trendsetter in diesem Bereich gelten die Anbieter von Videogames, deren Controller über verschiedene Vibrationsmuster haptisches Feedback geben, z.B. einen Treffer oder holpriges Gelände spürbar machen. Ein wachsendes Forschungsfeld – auch bei Touchscreens.
An den Universitäten Bielefeld und Göteborg wird derzeit an Datenhandschuhen geforscht. Sie wecken die haptischen Sensoren der Finger über Vibrationen und elektrische Impulse. Beispielsweise demnächst im Einsatz, um Produktberührungen beim Online-Shoppen zu simulieren.
Denn je mehr Sinne angesprochen werden, desto überzeugender und motivierender die Wirkung auf den Empfänger. Insbesondere der haptische Sinn bietet sich als Bereicherung einer auf Sehen und Hören fixierten Medien- und Konsumwelt an.
Einige der aktuellsten Entwicklungen: z.B. Mini-Kuschel-Robots mit Kussmund, der elektronisch Lippenbewegungen und -druck aus der Ferne überträgt (Prof. Hooman Samani, Universität Taipen); Yoga-Hosen, die mit Vibrationsalarm auf falsche Körperhaltungen reagieren (Firma Wearable Experiments); mit Apps verbundene Sensoren an Sportschuhen, die heute bereits Laufrouten empfehlen, morgen vielleicht schon in die Rolle von Trainingscoaches schlüpfen (Adidas).
Die Verknüpfung von digitaler und analoger Welt
Ekaterina Petrova betont zum Ausklang, „wie sehr uns das Multisensorische guttut“. Als Beispiel wählt sie das Tanzen. Wie eine Studie des Neural Plasticity Lab an der Ruhr-Universität Bochum resümiert, erhöhten sich durch Tanzstunden bei den Teilnehmern (Alter 60 bis 94 Jahre) die taktilen und kognitiven Fähigkeiten um 25 Prozent.
Die mit dem Tanzen verbundene reale Berührung dürfte die digitale Sphäre weiterhin überflügeln. Bedingte Ausnahme: Zielgruppen mit dem Prägungsmuster solo Disco Dancing. Als digitaler Event könnten Millionen User unter einer Leitmelodie verbunden werden und gemeinsam feiern.
Als weitere ganzheitliche Energiequelle führt die Autorin das Jonglieren an. Eine spielerisch-sportliche Tätigkeit, mit der u.a. die gesamte Motorik, die Verbindung von Körper und Geist, die Balance- und Koordinierungsfähigkeit trainiert wird. Bisher an die analoge Welt geknüpft und meist als Solosport mit greifbaren, geeigneten Dingen praktiziert.
Die versöhnliche Schlussbetrachtung von Ekaterina Petrova visualisiert die Vorstellung, wie Millionen Bewohner des Global Village zugleich jonglieren und sich digital die Bälle zuwerfen. Natürlich noch Theorie. Aber an diesem Beispiel blitzt auf, dass die Verknüpfung von digitaler und analoger Welt ganz neue Erlebnisse schaffen könnte, die uns sowohl emotional als auch haptisch berühren.
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