Männer stammen vom Mars, Frauen von der Venus. Eines von vielen Klischees, mit denen wir im Alltag Geschlechter-Differenzen kommentieren. In der bisher größten Genderstudie der Welt untersuchte ein internationales Forscherteam um Professor Richard A. Lippa vom Department of Psychology der California State University, ob und worin sich weibliche und männliche Gehirne tatsächlich unterscheiden.
Neben einer von der BBC initiierten Online-Umfrage, an der weltweit bereits über 500.000 Menschen teilgenommen haben, wurden Testpersonen zu einer ausführlichen Untersuchung ins Labor eingeladen sowie auf Schritt und Tritt von einer verstecken Kamera begleitet: 5 Männer, 5 Frauen, die ein möglichst breites Spektrum abdeckten – Lehrerin, Hausfrau, Investmentbanker, Ingenieur ...
Eines der Kernergebnisse: Frauen konzentrieren sich auf Beziehungsthemen, Männer auf Tatsachen. Jedenfalls beim Plausch mit dem Taxifahrer (in diesem Fall ein instruierter Schauspieler). Beim Schauen eines Nachrichtenblocks mit einem männlichen und einer weiblichen Sprecherin bekamen die Facts jedoch starke Konkurrenz. Die Testteilnehmerinnen memorierten ausschließlich Nachrichteninhalte. Den Männern blieben zwar einige Aussagen des Sprechers in Erinnerung, aber keine einzige der Lady. Stattdessen schwärmten sie von ihrer Attraktivität. Fazit der Forscher: Sex ist für die Herren der Schöpfung noch interessanter als Tatsachen. Denn – so die landläufige Meinung – Männer sind promiskuitiver. Aber stimmt das wirklich?
Bei Straßenumfragen gaben Männer im Schnitt 13, Frauen 7 bisherige Sexualpartner an. Doch beim anonymen Onlinetest glichen sich die Zahlen bereits an. Der Einsatz eines Lügendetektors im Labor unterstrich die Vermutung: Männer übertreiben, Frauen untertreiben – nicht zuletzt, um ihren Ruf zu wahren. Das Klischee, dass „Er“ promiskuitiver ist als „Sie“, hält der Realität nicht stand.
Bewahrheitet hat sich allerdings, dass Frauen (im Durchschnitt!) verständnisvoller und mitfühlender sind. Ein Ergebnis, das mehrere Experimente bestätigen. Bei den Studienfragen zum Thema Einfühlungsvermögen lagen die Frauen zu 90% vorne; ebenso punkteten sie beispielsweise beim Bilder-Test unterm Hirnscanner höher. Aufgabe: Deuten Sie den emotionalen Ausdruck der portraitierten Person. Während bei den Testteilnehmerinnen eine sofortige starke Aktivität im emotionalen Zentrum sichtbar wurde, zeigte sich dort bei den männlichen Probanden wesentlich weniger Resonanz. Frauen lagen mit ihren Einschätzungen rund 40% besser.
Große Unterschiede weisen zudem die Hirnareale für Sprachverarbeitung und räumliches Sehen auf. In einem Sprachtest wurden den Studienteilnehmern fast gleichzeitig zwei Silben zugeflüstert. Die Frauen hörten beide Silben, denn sie nutzen beide Hirnhälften zum Verständnis, wohingegen bei den Männern nur die rechte Hirnhälfte aktiv war – entsprechend nahmen sie nur eine Silbe auf.
Beim Testen des räumlichen Sehens schnitten Männer zu 40% besser ab, beispielsweise als es darum ging, mit einem kleinen Bagger einen Gegenstand zu greifen und zu transportieren.
Die Ursache für diese Unterschiede sehen die Forscher im männlichen Sexualhormon Testosteron, das erst in der achten Schwangerschaftswoche in großen Mengen produziert wird und so darüber entscheidet, zu welchem Geschlecht der Embryo gehören wird. Der Einfluss dieses Hormons zeigt sich schon bei den jüngsten Erdenbürgern: Mädchen sehen am liebsten Menschengesichter, Jungs Dinge.
Allerdings durchlaufen wir alle im Mutterleib verschiedene Phasen der Hormonausschüttung – mal wird mehr, mal weniger Testosteron produziert – eine individuelle Geschichte. Diese Schwankungen erklären auch, warum Menschen scheinbar widersprüchliche Fähigkeiten vereinen können – ein harter Kerl eine mitfühlende Seite haben kann oder eine zarte Frau als Baggerführerin überzeugt. Bei allen Tests der Genderstudie gab es Ausnahmen auf beiden Seiten.
Der unterschiedliche Testosteronspiegel lässt sich im Fruchtwasser nachweisen und zeigt sich später im Längenverhältnis von Ring- und Zeigefinger. Wie der britische Evolutionsbiologe John Manning herausfand, basieren die Testosteronproduktion und die Entwicklung der Fingerlänge auf den gleichen Genen. Je länger der Ringfinger im Vergleich zum Zeigefinger, desto stärker der Einfluss des Testosterons.
Fazit: Es gibt Durchschnittswerte, aber das Hirn ist weder eindeutig männlich noch weiblich – jeder ist eine einmalige Mischung aus beidem. Für das Neuromarketing können – je nach Zielgruppe und Produkt – Genderdifferenzen jedoch von entscheidender Bedeutung sein.
Weiterführende Infos
http://www.spiegel.tv/filme/bbc-secret-sexes-1/