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Der Haptik-Effekt-Blog
von Touchmore

Kopfsache & Körpergefühl - unser Umgang mit Schmerz

Der Karneval berührt uns auch dinglich (Bild: stapag)

Schmerz polarisiert. Kann er einerseits schreckliche Qualen hervorrufen, so ist er gelegentlich nicht nur erträglich, sondern sogar mit großer Lust verbunden.

Ob nun der Genuss von scharfen Speisen, der Gang zum Tätowierer, Leistungssport oder der aktuelle Kinofilm Fifty Shades of Grey: So sehr wir Schmerzen auch vermeiden wollen, so stark faszinieren sie uns gleichzeitig.

Psychologieprofessor Paul Rozin ist sich sicher, dass Menschen zu einer Art kontrollierbarem Masochismus tendieren. Der Reiz daran: die kurzzeitige und überschaubare Unterwerfung des Schmerzes, ob nun im Piercing-Studio, im Schlafzimmer oder im asiatischen Restaurant. Dererlei kleine Triumphe versetzen uns regelrecht in Euphorie und machen den Schmerz genießbar.

Verlieren wir allerdings die Kontrolle, erwacht unser Widerstand. So wurden im Jahr 2013 rund 153 Millionen Packungen Schmerzmittel verkauft - allein in Deutschland.

Die ständige Verfügbarkeit von Schmerzmitteln und unsere stetig wachsende Lebenserwartung führen allerdings auch zu Problemen. Schwer zu behandelnde chronische Beschwerden nehmen beispielsweise nicht ab, sondern zu. Von den Nebenwirkungen wollen wir an dieser Stelle erst gar nicht reden.

Reiz, Übertragung ins Gehirn, Schmerz

Die leichtfertige Vergabe von Schmerzmitteln sorgt aber nicht nur dafür, dass die Zahl der Medikamententoten die Zahl der Drogentoten übersteigt, sondern sie bewirkt auch, dass wir den Bezug zu unserem Körper verlieren.

So beruht unser Bild von Schmerzen immer noch auf Vorstellungen aus dem 17. Jahrhundert: Reiz, Übertragung ins Gehirn, Schmerz.

Diese Betrachtungsweise war der Auslöser für gleichermaßen mechanistische Therapieansätze. Dabei existiert längst ein moderneres und differenzierteres Schmerzkonzept, das nicht nur die körperlichen Ursachen des Schmerzes berücksichtigt, sondern auch die Psyche und das soziale Umfeld. Das Konzept sieht vor: Schmerz resultiert vor allem aus seiner Bewertung durch das Gehirn.

Es geht also nicht darum, die Stärke des Reizes zu berechnen und ihn zu lokalisieren. Er muss auch in einen emotionalen Kontext eingebettet werden, Erfahrungen müssen berücksichtigt und der Reiz bewusst interpretiert werden.

So ist der Schmerz einer Impfung durchaus mit dem Schmerz zu vergleichen, den wir empfinden, wenn eine Tätowiernadel zusticht. Eine Impfung entzieht sich aber unserer Kontrolle.

Schmerz als ganzheitliches Phänomen

Schmerz ist also subjektiv und liegt im Auge des Betrachters. Während der eine den Lauf eines Marathons durchaus als lustvoll empfindet, ist er für den nächsten nichts weiter als eine Qual. Ähnlich verhält es sich im Schlafzimmer: Masochisten lassen sich durch Lack und Leder in Wallung bringen, während derlei Praktiken für andere abschreckend wirken. Auch an scharfen Speisen scheiden sich die Geister.

An dieser Stelle setzt auch die moderne Schmerzbekämpfung an. Statt negative Emotionen abstellen oder übertünchen zu wollen, ordnet sie den Schmerz in ein Setting ein und behandelt das Phänomen ganzheitlich. Ein scharfes Chili con Carne vergiftet uns schließlich nicht. Vielmehr nehmen wir die Schärfe gerne in Kauf, weil wir die Speise dadurch sehr viel intensiver wahrnehmen.

Entscheidend ist das zu erwartende Glücksgefühl. Ist der Schmerz erfolgversprechend? Macht diese Aussicht den Schmerz erträglich? Mütter werden sagen: Ja. Denn schließlich überwiegt die Freude über das neugeborene Kind den fürchterlichen Qualen, die es vorher durchzustehen galt.

Darüber hinaus ist es möglich, das Schmerzempfinden bewusst zu beeinflussen. So geht es zunächst darum, die Hilflosigkeit zu überwinden, denn noch schlimmer als der Schmerz selbst kann nämlich die Angst davor sein.

Schon das Wissen darum, dass sämtlicher Schmerz im Kopf entsteht, kann hilfreich sein. Denn nur was wir verstehen, können wir auch kontrollieren. Ein entscheidender Faktor auch für eine bessere Körperwahrnehmung.