Skip to main content

Der Haptik-Effekt-Blog
von Touchmore

Multisensorische Schreibkunst oder Zauberei? Warum Harry Potter uns begeistert

Multisensorische Sprache als Erfolgsfaktor (Bild: LEGO)

Es dürfte wohl kaum einen Zauberlehrling geben, der größere Bekanntheit genießt als Harry Potter denn gegen die englische Romanfigur sieht selbst eine von Goethes erfolgreichsten Balladen alt aus.

Doch was macht den Nachwuchsmagier so faszinierend? Warum begeistert er Generation über Generation, verkauft Millionen von Büchern und bescherte damit ganz nebenbei seiner geistigen Schöpferin J.K. Rowling ein wahrlich sorgenfreies Leben?

Ein Psychologenteam der Freien Universität Berlin hat sich genau diese Fragestellung vorgenommen. Zu diesem Zweck wurden lesehungrige Probanden an den Hirnscanner angeschlossen, während sie Passagen aus den Harry Potter-Büchern goutierten.

Die Ergebnisse der Studie werden in einer der Ausgaben des Journals NeuroReport unter dem Titel: "First attempt to understand the neural mechanisms of immersive reading experience" publiziert. Prinzipiell begegnet der Leser zwei Textarten.

Zuvorderst den wortgewaltigen, die Sinne synchronisiert anspielenden Passagen, wie etwa die Erzeugung von (Angst-)Gefühlen. Diese Buchabschnitte machen den Leser durch ihre lebendige Sprache zum Teil der Geschichte.

Andere Passagen transportieren eher beschreibende Funktionen und vermittelten dem Leser schlicht das Setting. Das Ergebnis der Studie überrascht nicht: Die schaurigen und emotional ausgelegten Textabschnitte lösten deutlich mehr Gehirnaktivität aus als die deskriptiven.

Leser verlieren sich vor allem dann in den Büchern, wenn eine Situation nicht nur benannt, sondern detailliert be- und umschrieben wird. Ob es nun der Angstschauer ist, der die Wirbelsäule emporkriecht, der kalte Atemzug, der dafür sorgt, dass sich die Nackenhaare aufstellen oder der Zauberstab, der mit laut knallenden Blitzen um sich schießt - der Leser kann sich nur so weit in die Geschichte hineindenken, wie der Autor es zulässt.

Besonders intensiv wirkt dabei das Gefühl der Angst, denn sie aktiviert das Empathiezentrum unseres Gehirns.

So fiebern wir beispielsweise mit, wenn Lord Voldemort mit bedrohlicher Ruhe um den Romanhelden schleicht und jeder Atemzug Harry Potters letzter sein könnte. Wir identifizieren uns mit Harry und sorgen uns um ihn. Kombiniert mit der Aktivierung unserer Sinne, sorgt diese emotionale Aufladung dafür, dass wir das Gefühl haben, direkt hinter ihm zu stehen.

Neben den haptischen Reizen, die ein ansprechend aufgemachtes Buch mit sich bringt, dürfte also vor allem Rowlings multisensorische Sprache einen maßgeblichen Einfluss auf den unvergleichlichen Erfolg der Harry Potter-Reihe haben, wie es der US-amerikanische Autor Eric Jaffe konstatiert.

Testen Sie das Phänomen an sich selbst und überlegen Sie, welches Szenario Sie stärker anspricht. Ein Drache, der durch den Abendhimmel fliegt? Oder ein Drache, dessen schuppige Flügel die ergrauenden Wolken am dämmernden Horizont zerschneiden?