Seitdem die Wissenschaft den haptischen Sinn wiederentdeckt hat, häufen sich die spannenden Erkenntnisse.
Jüngst wurden unter der Haut von Mäusen spezialisierte Zellen aufgespürt, mit deren Hilfe sie selbst feinste Oberflächenstrukturen und Berührungen fühlen können.
Die zweiteilige Studie wurde am Columbia University Medical Center, New York, durchgeführt. Unter Leitung von Dr. Ellen A. Lumpkin wurde erstmals die Methode der Optogenetik genutzt, um tiefer in die Dimensionen der berührungsempfindlichen Rezeptoren vorzudringen.
Bei der aus Optik und Genetik komponierten Methode werden gentechnisch veränderte, lichtempfindliche Proteine ins Untersuchungsgebiet eingeschleust – in diesem Fall in den Neuronen-Kosmos unter der Haut von Mäusen. So manipuliert können die Hautnervenzellen via Licht aktiviert oder deaktiviert werden.
Was zeigte sich beim An- und Abschalten? Die Merkelschen Tastscheiben in der Oberhaut, die auf konstanten Druck spezialisiert sind, interagieren mit den Hautneuronen, sobald nur ein zarter Hauch die Oberfläche streift.
In der zweiten Untersuchung in Kooperation mit Forschern des Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien, identifizierten die Forscher das zugehörige Molekül – Piezo2, das bei Berührung aktiviert wird.
Eine bahnbrechende Beweisführung für die Haptikforschung, die Dr. Lumpkin so kommentiert: „Diese Experimente sind der erste Beweis, dass Merkelzellen Berührung in neuronale Signale kodieren können, die wiederum Informationen über die Objektwelt um uns herum ins Gehirn transportieren.“
Auch ein Beleg dafür, dass jede Berührung ihr neuronales Pendant in unseren erinnerungsbegabten Neuronennetzwerken hat. Gespeicherte und jederzeit implizit abrufbare Erfahrungspäckchen, geschnürt aus Emotionen, Bildern, Bewertungen.
Darüber hinaus, dass wir nicht nur ein psychologisches Bedürfnis nach liebevoller Berührung haben, sondern auch auf zartesten Hautkontakt spezialisierte Übertragungs-Kanäle.
Längst bekannt ist, dass Babys in ihrer Entwicklung blockiert werden, wenn sie nach Streicheleinheiten hungern müssen. Diverse Studien vergleichen den Entwicklungsprozess von Neugeborenen, die entweder behütet und geherzt im Familienkreis ins Leben starten oder in Waisenhäusern professionell betreut werden.
Nach einem Jahr zeigen sich eklatante Unterschiede: Die Babys, die liebevoll aufwuchsen, waren ihren Kameraden aus der Vergleichsgruppe in allen Studien weit voraus – in jeder Beziehung (Gallace/Spence, 2008).
Zartes Streicheln manifestiert sich als Code der Liebe und Geborgenheit in unseren Hirnen, worauf die meisten Menschen ein Leben lang anspringen.
So zeigte sich bei einem wissenschaftlichen Experiment, dass Restaurantgäste mehr Trinkgeld gaben, wenn der Kellner die Kunden zuvor kurz auf der Hand oder Schulter berührte (Crusco/Wetzel, 1984).
Ein Reaktionsmuster, das fortan „Midas-Touch“ genannt wurde. Pate stand der antike griechische König Midas, der laut Legende alles, was er berührte, in Gold verwandeln konnte.
Weitere Studien belegen, dass der „Midas-Touch“ positive emotionale Weichen stellt. Beispielsweise fanden Kunden in einem Autohaus den Verkäufer sympathischer, wenn sie von ihm berührt worden waren.
Die dem Gegenüber angemessene Berührungsdosis flüstert uns die Empathie. Ihr Verbündeter ist das Fingerspitzengefühl. Und das bekommen wir in die Wiege gelegt.
Nach neuesten Erkenntnissen schwedischer Forscher des KTH Royal Institute of Technology in Stockholm können wir mit unseren Fingerbeeren, eines der Tastzentren unseres Körpers, noch feinste Rillen im Bereich von 13 Nanometern erfühlen.
Übertragen heißt das: Wären unsere Finger so groß wie die Erde, könnten wir beispielsweise den Unterschied zwischen Häusern und Autos ertasten.
Wie berühren Sie Ihre Kunden?
Quellen:
Ellen Lumpkin et al.: Epidermal Merkel cells are mechanosensory cells that tune mammalian touch receptors, doi:10.1038/nature13250, Nature, 6. April 2014.
Gallace, Alberto/Spence, Charles: The science of interpersonal touch: An overview. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, Vol. 23, 2010, S. 246-259. www.elsevier.com/locate/neubiorev
Crusco, A.H./Wetzel, C.G.: The Midas touch: the effects of interpersonal touch on restaurant tipping. Personality and Social Psychology Bulletin Vol. 10, S. 512-517.