Wie sieht eine typische Verkaufssituation aus? Der potentielle Kunde wird mit Produkterklärungen und Argumenten konfrontiert – unterstützend werden gerne Broschüren, Bilder oder Diagramme gezeigt. Die tragenden Bausteine der traditionellen audiovisuellen Strategie, um nicht zu sagen ein gelernter Mechanismus, der aufgrund inflationären Einsatzes zusehends an seine Grenzen stößt.
Insbesondere Produkte und Dienstleistungen, die nicht konkret fassbar sind, wirken auch mit den üblichen Werbe-Superlativen „Besser! Schneller! Toller!“ nicht überzeugender. Alles zu oft gehört, unspezifisch und redundant. Zeit ist knapp, der Kunde kritisch – um seine Aufmerksamkeit und sein Vertrauen zu gewinnen, bedarf es mehr als schöner Worte und Bilder.
Der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi erkannte bereits vor 200 Jahren, dass Menschen am besten mit „Hirn, Herz und Hand“ lernen. Übertragen auf den Kunden bedeutet das, um Nutzen und Vorzüge eines Produktes zu verstehen, sind drei Faktoren relevant. Zum einen die Wahrnehmung der Produktvorteile mit eigenen Sinnen, wobei der Tastsinn als Realitäts- und Prüfsinn eine Schlüsselrolle spielt – kein anderer Sinn kann uns konkret fassbar überzeugen. Zum anderen positive Emotionen, die unbewusst von allen sinnlichen Wahrnehmungen gespeist werden. Und schließlich die kognitive Verarbeitung der Informationen. Dieses Zusammenspiel führt zu Verständnis, Erinnerungswert und Glaubwürdigkeit.
Dabei sind Botschaften, die multisensorisch vermittelt werden, im Vorteil. Ein Phänomen, das die Wissenschaft mittlerweile vielfach belegt hat. In der psychologischen Theorie spricht man von „dualer Kodierung“ (Paivio, 1971): Der Transfer von Informationen durch zwei oder mehrere Sinneserfahrungen (Codes) führt zu tieferem Verständnis als die Vermittlung über nur einen sensorischen Kanal. Multisensorisch transportierte Botschaften prägen sich zudem besser ein (Lwin et al., 2010). Wie bereits in diversen Studien nachgewiesen, erhöhen sich Wirkung und Gedächtnisleistung mit jedem weiteren involvierten Sinn jeweils um das 10-fache.
Die Auswirkung der multisensualen Verstärkung auf die Marketingpraxis wurde auf Initiative von Martin Lindstrom von dem internationalen Marktforschungsinstitut Millward Brown untersucht. Das Ergebnis: Die Kundenloyalität steigt um 100 Prozent, wenn eine Marke multisensorisch kommuniziert und wiedererkennbar ist – die Top 3 zur Zeit der Studie: Singapore Airlines, Apple, Disney (Lindstrom, 2005).
Der evolutionsbiologische Hintergrund: Wir sind auf multisensorische Muster gepolt. Signale, die von mehreren Sinnen unterstützt werden, sind relevanter und glaubwürdiger, werden schneller verarbeitet und länger behalten, denn ihre Decodierung war für unsere Vorfahren überlebenswichtig.
Ein Knacken im Geäst mag harmlos sein. Das Geräusch, verbunden mit einer schnellen Bewegung, die wir noch im Augenwinkel registrieren, führt bereits zu verschärfter Aufmerksamkeit. Weht uns dann noch die strenge Duftspur eines Raubtiers um die Nase, wird blitzartig der Fluchtreflex eingeschaltet. Archaische Ahnen, deren Hirn solche Muster nicht in Sekundenbruchteilen unbewusst decodierten, gehörten nicht zu unseren Vorfahren.
Bis heute gilt: Wer Nutzen und Vorteile seines Produktes bzw. seiner Dienstleistung über mehrere Sinne vermitteln kann, gewinnt höhere Relevanz, mithin mehr Aufmerksamkeit, tieferes Verständnis und nachhaltige Erinnerung.
Quellen:
Paivio, A. (1971). Imagery and verbal processes. New York, Holt, Rinehart & Winston.
Lwin, M. O., Morrin, M. & Krishna, A. (2010). Exploring the superadditive effects of scent and pictures on verbal recall: An extension of dual coding theory. Journal of Consumer Psychology, 20, 317-326.
Lindstrom, M. (2005). Brand Sense. Free Press, New York.