Die Party ist in vollem Gange. Angeregt plaudere ich mit einem Geschäftsfreund, als mir ein Tablett mit Sektgläsern entgegenschwebt – wie automatisch streckt sich meine Hand aus und fasst zielsicher mit feinem Griff zum Stiel. Auf Ihr Wohl – hhmm, lecker!
Kurz darauf bietet mir die charmante Servicekraft ein Kaviarhäppchen an. Wieder setzt sich meine Hand ohne gedankliches Zutun in Bewegung, während ich das spannende Gespräch fortführe. Doch dieses Mal hebt sich die Handfläche dezent nach vorne – nein danke! Stör-Rogen war noch nie mein Ding, darüber brauche ich keine Sekunde nachzudenken.
Zwei von unzähligen Beispielen aus dem Alltag, wie uns motorische Codes auch ohne bewusste Reflexion lenken. Doch wie ist es um die aktuelle Diskussion der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist bestellt?
Update Embodiment
Zeit für ein Update Embodiment. Diskussionen um den so genannten „Leib-Seele-Dualismus“ werden in der Philosophie seit der Antike geführt. Seit Jahrhunderten dominiert allerdings die naturwissenschaftliche Trennung von Körper und Geist.
Mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaftler rückte der Denkmuskel (im Durchschnitt zwischen 1.300 und 1.500 g schwer) als zentraler Verwaltungs- und Steuerungsapparat in den Vordergrund. Seine Arbeitsweise wird seit den 70er Jahren auch von Kognitionswissenschaftler vorzugsweise mit einem Computer verglichen.
Ob Bewusstsein, Emotionen, Gedanken oder Wünsche – sie alle sind symbolische Repräsentationen bzw. „Algorithmen einer aberwitzig komplizierten Software“.
Das Hirn ist kein Computer
Doch wie Hirnforscher bei ihren Untersuchungen, z.B. unterm Hirnscanner, immer wieder feststellen: Neuronen ticken nicht im 1-0-Modus, sondern sie agieren vernetzt, nicht linear. Nach heutigem Stand tummeln sich ca. 86 Mrd. Nervenzellen im Gehirn und nicht nur dort, sondern u. a. auch im Herzbereich und Darm.
Der Denkmuskel ist integraler Bestandteil eines lebendigen Organismus, mit dem er in ständigem Austausch steht.
Auch in der Kognitionswissenschaft findet bei vielen Vertretern seit Jahrzehnten und verstärkt seit der Jahrhundertwende ein Umdenken statt. Die Grundthese der daraus entstandenen Embodiment-Forschung lautet: Bewusstsein braucht einen Körper.
Kein Bewusstsein ohne physische Interaktion
Dabei ist die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist eine beidseitige, „denn psychische Zustände drücken sich nicht nur im Körper aus, also nonverbal, in der Körpersprache und Haltung, sondern auch Körperzustände beeinflussen psychische Zustände.“
Wie umfassend Embodiment („Verkörperung“) das menschliche Bewusstsein definiert, ist auch unter den Experten strittig. Zu den radikalen Pionieren zählt der Philosoph Shaun Galagher, University of Central Florida: „Die Gestalt unseres Körpers determiniert die Erfahrungen, die wir mit ihm überhaupt machen können ...“ Und er schlägt als Gedankenexperiment vor, sich z.B. einmal in die Rolle und Perspektive eines Frosches hinein zu versetzen.
Shaun weiter: „Der Geist ist so etwas wie die Summe der Erfahrungen meiner Körperbewegungen. Er entwickelt seine Gestalt aus meinen Bewegungen in der Welt heraus.“
Ausnahme sprachliche Repräsentationen
Auch der Bochumer Philosoph Albert Newen integriert Embodiment in seine Überlegungen, allerdings unterscheidet er: „Embodiment sollte jene Phänomene umfassen, die in einer unabdingbaren Weise verkörperlicht sind.“ Beispielsweise die Fülle und Differenziertheit des Gesichtsausdruckes, die eine Beschreibung übersteigt.
„Wenn wir Sprache verwenden, gehen wir über ein wesentliches Embodiment hinaus, wir entwickeln dann Repräsentationen, die wir vollständig unabhängig von einem Wahrnehmungsinput verwenden können.“ Man denke z.B. ans Pläne schmieden in kontemplativen Stunden. „... Das zeichnet uns Menschen ganz wesentlich aus und scheint auch unsere enormen Handlungsmöglichkeiten erst bereit zu stellen.“
In Teil 2 dieses Blogs fokussieren wir basale Embodiment-Konzepte und wie uns motorische Codes nicht nur unbewusst, sondern auch unabhängig vom Kontext beeinflussen – ob im Alltag oder bei Empfang eines Werbebotschafters.