dedica im Gespräch mit Olaf Hartmann, Buchautor und Inhaber des Unternehmens Touchmore sowie CEO des Multisense Institutes, beide in Remscheid beheimatet.
- Welches ist der genialste Werbeartikel, den Sie in der letzten Woche (falls der Zeitraum zu kurz ist: im letzten Monat) gesehen und gefühlt haben?
Kürzlich viel mir ein Kapselheber von Jever auf, der wie der Leuchtturm gestreift war. Er lag angenehm schwer in der Hand, hatte eine hochwertige Oberfläche und überzeugte mit einer innovativen Art den Kronenkorken zu lösen: Man drückt den „Leuchtturm“ einfach von oben auf die Flasche und der Kronenkorken löst sich an allen Seiten gleichmäßig ohne sichtbare Verformung.
Der optische Code des Leuchtturms aktiviert die gelernte Markenwelt von Jever, die mit der norddeutschen Landschaft eng verbunden ist: „Wie das Land, so das Jever.“ Die Wertigkeit macht den Artikel zu einem schönen Deko-Objekt und die Funktion überzeugt.
Die Größe des „Leuchtturms“ eignet sich nicht für eine normale Schublade, d. h. der Kapselheber wird eher auf ein Küchenregal oder eine ähnliche Ablage gestellt werden. So erreicht Jever mit dem Leuchtturm im Gegensatz zu normalen Kapselhebern einen sehr hohen Mediawert für die Marke im direkten Umfeld der Kunden – ein kommunikativ hochwirksames Haptical.
- Und welcher hat Sie am meisten gelangweilt?
Zusammenhanglose Gags langweilen mich. Artikel, die zwanghaft witzig sein wollen, oder Artikel, die unehrlich sind. Unehrlich heißt, dass der Artikel mir einen Wert vorgaukelt, der sich dann weder in Materialität noch Funktion darstellt.
Solche Artikel können für eine Marke sehr negativ wirken, denn sie beeinflussen die Markenwahrnehmung implizit stärker, als vielen Marketingentscheidern bewusst ist.
- Was würden Sie einem Marketingentscheider empfehlen, der für das kommende Geschäftsjahr nur noch das Budget für entweder eine Social-Media-Kampagne oder eine Aktion mit einem Werbeartikel hat?
Das kann man pauschal nicht sagen. Das hängt immer von der Zielsetzung und der Zielgruppe ab. Ich denke aber, dass Social Media viel weniger Beitrag zum Marketingerfolg leistet, als im momentanen digitalen Marketingtaumel offen zugegeben wird.
Die Marketers von Pepsi haben uns dazu 2011 ein sehr nettes, kleines Experiment geschenkt. Sie haben in den USA ein Jahr lang fast ihr gesamtes Marketingbudget in Social Media Aktivitäten und eine Unterstützungskampagne umgeleitet unter dem Motto „Pepsi Refresh Project.“ - Und hatten einen gigantischen Erfolg!
Über 3,5 Millionen Likes auf Facebook, 60.000 Twitter Follower. Auch auf den Umsatz hatte diese Kampagne einen starken Einfluss: Der sank um 5%! Experten schätzen, dass dies ca. 350 Millionen Dollar Umsatz vernichtet hat. Nicht schlecht für eine Kampagne, die allein digital mit 20 Millionen Dollar zu Buche schlug, oder?
Social Media ist sicher ein super faszinierender Kanal, der aber im Vergleich zu klassischen Kanälen wie dem Dialogmarketing oder PoS-Maßnahmen sehr schwache Absatzleistung bringt. Wenn also ein Marketingentscheider nicht nur hip sein, sondern seinen Beitrag zum Absatzerfolg leisten möchte und er die notwendigen direkten Touchpoints mit den Kunden hat, sollte er lieber in Werbeartikel investieren – sein Vertrieb wird es ihm danken und wenn er es geschickt anstellt, gibt es dafür sicher auch ein paar Likes auf Facebook fürs Ego oben drauf.
„Der Werbeartikel berührt mich haptisch“
- Wird Print (Zeitungen, Zeitung, Bücher …) künftig nur noch ein Nischenphänomen sein?
Auf gar keinen Fall. Aber bestimmte Printformen werden durch das Internet sehr stark unter Druck geraten. Print muss sich wieder auf seine Stärken als haptisches Medium konzentrieren: Wertigkeit und Glaubwürdigkeit. Print kann nie so schnell sein wie das Internet. Aber der mentale Frame, den Print für Werbung liefert, ist besonders für Marken enorm wichtig.
Es ist ein Medium, dem ich mich bewusst zuwende, das mich haptisch berührt. So entsteht eine sehr hohe Kontaktqualität. Nicht umsonst boomen auch wieder Magazine wie „BEEF“ oder „Flow“ und „Die Zeit“ erreichten Rekordauflagen.
Ich denke auch, dass hier Sonderwerbeformate als Ad-Specials einen Boom erleben werden. Je mehr High Tech in der Welt ist, desto mehr sehnen sich Leute auch nach High Touch. Dieses Bedürfnis kann Print befriedigen mit entsprechend positiver Wirkung für die damit werbenden Marken.
- Es ist bereits die Rede von digitalen Oberflächen, die haptische Effekte haben. Wie weit ist die Entwicklung hier wirklich? Haben solche Entwicklungen die Chance, physische Werbemittel abzulösen? Warum oder warum nicht?
Diese Entwicklung zeigt, wie sehr der Mensch sich nach haptischem Erleben sehnt und da, wo es fehlt, Simulationen sucht. Die Technik ist tatsächlich kurz davor, Touchscreens noch haptischer zu gestalten, indem es Oberflächen durch elektromagnetische Spannung simuliert und solche Dinge wie „Force Feedback“ ermöglicht.
Dies wird sicher einen Sprung in der digitalen Kontaktqualität bedeuten, aber trotzdem haben physische Werbemittel immer einen großen Vorteil, der auch bleiben wird: Man kann sie nicht wegklicken!